Jahresausgabe 1998

Die Trommel: Kehle der Kultur

von Abdurahman Aden

 

Selten gibt es ein Musikinstrument, das eine so allgemeine Verbreitung zeigt wie die Trommel. Sie ist vielfältig in ihrer Erscheinungsform und mannigfaltig in der Ausgestaltung. Ebenso verschieden sind die Sitten und Bräuche sowie Vorstellungen, die sich mit ihr bei den verschiedenen Völkern verbinden. Trotz zunehmender Vernachlässigung ist sie noch ein fester Bestandteil des dörflichen Lebens Afrikas. Die Trommel symbolisiert den Drang, sich jenseits der Sprache seelisch und körperlich auszudrücken. Im Profanen wie im Sakralen spielt die Trommel in manchen Gegenden heute noch eine wichtige Rolle.

Besonders bei einigen Stämmen in Somalia und Äthiopien ist der Zaar, ein Zustand geistiger Verwirrung, bedingt durch Verhexung, bekannt. Die Heilbehandlung verläuft unter streng geregeltem Ritual. Der Trommler, der zugleich der Heiler ist, erreicht die gewünschten Geister durch gezielte Trommelrhythmik. Der Verhexte gerät in Trance oder in wilden Tanz bis zur Ekstase. Der Kreis um die Trommel stimmt ein Gebetslied an und richtet Fürbitte an die Geister. Durch die Trommelaufrufe, Gebete und das Versprechen von Opfergaben wird der Besessene erlöst.

Die Trommel war an Landschaft und Leute angepaßt, besonders in jener Zeit, als Infrastruktur und Verkehrsverbindungen noch sehr mangelhaft waren. Die Trommel war auch Informationsträger im Alltag.
"Die meisten Leute waren in den Wäldern bei der Ernte. Nur wenige wohnten noch auf kleinen Hochflächen in der überfluteten Ebene. In den Wäldern, wo die Mehrzahl lebte, wurde Tag für Tag eine Trommel geschlagen. Sie diente als Verständigungsmittel und teilte den anderen Dorfbewohnern mit, daß in dem Dorf, wo die Trommel geschlagen wurde, Bier verkauft wurde."

Um die Rolle der Trommel bei Streitigkeiten zu zeigen, wird folgendes Beispiel angeführt: Einer der Streitenden begibt sich mit seinem Kanu zur Mitte des Flusses, um weithin gehört zu werden, und dort beschimpft und verhöhnt er seinen Gegner. Versteht dieser auch die Trommel, so geht das gegenseitige Geschimpfe einige Tage lang fort. Beschimpfungen durch die Trommel sind ein Grund, Klage zu erheben, und an manchen Orten war eine höhere Strafe als für verbale Beschimpfungen zu befürchten.

Die Trommel hat, ähnlich wie Wort und Schrift, eine Mitteilungswirkung. Die Trommelsprache kann durch ihre verschiedenen Tonstufen gezielt Mitteilungen verbreiten. Hat die Buchstabenschrift den Vorzug, die Nachrichten länger aufzubewahren, so kann die Trommel sie schneller verbreiten. Sie war geradezu zum organischen Symbol der afrikanischen Dorfgemeinschaft geworden wie einst im Leben des europäischen Dorfes die Kirche.

Ein Afrikaforscher berichtet, daß die Nachricht vom Fall Khartums zu Anfang dieses Jahrhunderts innerhalb von 24 Stunden von afrikanischen Trommeln landesweit gemeldet wurde. Das zeigt die Bedeutung der Trommel als Übermittlerin von Nachrichten und auch von Warnsignalen. Die Trommel erwies sich als eine Geheimwaffe für die die Afrikaner, die als Sklaven nach Amerika und in die Karibik verschleppt und verkauft worden waren. In Zeiten der Verschwörung haben sich die Sklaven oft darauf verstanden, ihre aufrührerischen Befreiungspläne mit Hilfe des Klanges ihrer Trommeln von einer Siedlung zur anderen zu übermitteln. So wurde die Trommel das Medium für getarnte Botschaften. Die Musik lernte dabei gewissermaßen das Sprechen. Als die Obrigkeit allmählich die Bedeutung der Trommel entdeckte, wurden an verschiedenen Orten alle Trommeln vernichtet und der Besitz solcher Instrumente unter Strafe gestellt. Auf den westindischen Inseln in der Karibik beschlagnahmten die Engländer die Trommeln der Schwarzen. Daraufhin gebrauchten die Beraubten leere Blechbehälter aus dem Hafen als Trommeln. So ist der spezifische metallische Klang und Rhythmus der seither auf der ganzen Welt bekannten Kalypso-Musik (steeldrums) entstanden.

Durch die Erfindung der Trommelsprache glich der Genius der afrikanischen Völker das Fehlen der Schrift aus. Unter allen gebräuchlichen Musikinstrumenten besitzt die Trommel den höchsten Rang, so daß man zuweilen meint, sie wäre kein Gebrauchsgegenstand, sondern sie spräche für sich selber.

Und als Trommel anfing, sich selbst zu schlagen
erhoben sich alle, die seit Hunderten von Jahren tot waren
und kamen, Zeuge zu sein
wie Trommel die Trommel schlug.
(Amos Tutula)

Hat die Buchstabenschrift den Vorzug, die Nachrichten länger aufzubewahren, so kann die Trommel sie schneller verbreiten. Die Trommel hat die Funktion von handschriftlichen Mitteilungen und lange Zeit hindurch auch die Funktion des gedruckten Buches erfüllt. Wie ein riesiges, pulsierendes Herz verbreitete sie mit ihrem Schlag Nachrichten, berichtete über den Verlauf von festlichen Ereignissen und fügte außerdem abgeklärte Weisheit und die Erfahrung von Generationen zu literarischen Kunstgattungen von strengem Aufbau zusammen.
Die Trommel sendet Botschaften in Worten. Verschiedene Trommelarten und damit auch verschiedene Trommeltöne werden zum Ausdruck der jeweiligen Emotionen verwendet. Die lautnachahmenden, hoch oder tief gestimmten Zwillingstrommeln leiten die Nachrichten nicht durch irgendwelche konventionellen Zeichen, sondern durch die direkte Imitation der menschlichen Stimme weiter. Viele afrikanische Sprachen sind Tonsprachen, denen eine Buchstabenschrift ohnehin nur sehr umständlich gerecht werden kann. Die Trommelschrift hingegen ist ihr gemäß. Das "Dumdum", die üblichste Art der sprechenden Trommel der Yoruba, die Europäer ihres Aussehens wegen auch Stundenglas-Trommel nennen, ist mit ihren zwei Membranen vorzüglich geeignet, die Yoruba-Sprache wiederzugeben. Die komplexe Polyrhythmik des afrikanischen Tamtam eignet sich in der Tat hervorragend für die getrommelte Sprache. Kommunikation durch Trommeln kann grundsätzlich auf zwei Arten erfolgen. Erstens gibt es überlieferte Trommelsignale, die für bestimmte Botschaften stehen - hier besteht keine Verwandtschaft mit gesprochener Sprache. Die zweite und an dieser Stelle interessantere Art ist die direkte Abbildung menschlicher Rede durch die Nachahmung von Tonfall und Rhythmus der menschlichen Sprache. Hierbei werden die Instrumente selbst als "sprechend" angesehen.

Die Töne sind in Yoruba wichtiger noch als Vokale und Konsonanten. Demzufolge spricht man von Trommelschrift, wobei die Schrift nicht das Auge, sondern das Ohr anspricht. Der junge Europäer lernt in der Schule, die optischen Lautzeichen mit ihrem Sinn zu verbinden, ebenso mußte früher der junge Afrikaner die Kunst erlernen, die akustischen Lautzeichen der Trommel zu begreifen. Obwohl die Trommel als typische Ausdrucksform Afrikas auftritt, weist ihre Rangstelle bei den verschiedenen Völkerschaften auf gewisse Unterschiede hin. Dort wo der Islam und das Christentum nicht zu tief eingegriffen haben, z.B. bei den animistischen Ethnien in West- und Zentralafrika, herrscht die Trommeldichtung, bzw. die instrumentell geprägte Dichtung vor. Besonders bei den Yoruba neigt man ständig dazu, mündliche Dichtung durch Musik zu rhythmisieren und mit Musik zu begleiten. Musikalischer, mimischer und tänzerischer Ausdruck unterstützen und ergänzen einander. Im Falle der mündlichen Dichtung gibt es keine Zeitkluft zwischen der Komposition, dem Vortrag und dem vortragenden Künstler. Singen, Darstellung und Komponieren sind Teile einer einzigen Handlung.

Beim Trommeln sind Götter, Dämonen und Ahnen gegenwärtig. Die Trommel ist nicht nur ein beschnitztes, bemaltes, geschmücktes Stück Kunst, sondern ein Teil des Leibes des Trommlers und der Seele des Publikums. Melodie und Rhythmus hüllen sie ein, Tanz und Opfer begleiten ihre Auftritte an zentralen Punkten des Lebensweges wie Geburt, Reife und Tod.