Jahresausgabe 1998

Bitte ohne Haut!

von Marianne W. Bayer

 

Wenn Hanno in Julias schwarzweißblaues Zimmer kommt, schaltet Julia ihren Computer auf Schweigen. Nachtblauer Bildschirm in weißem Gehäuse, ein Himmel mit winzigen weißen Sternen, die vor dem Betrachter fliehen. Bildschirmschonprogramm.

Hanno und Julia ziehen einander nur das Nötigste aus, weil das Gleiten über große Flächen blaßrosa Haut so peinlich ist. Im Sommer ist es nicht schlimm, denn Julias Arme und Beine werden schnell braun und Hannos Rücken zart rostbraun gesprenkelt, dann sieht die Haut nicht mehr nackt aus, und für einen Augenblick liebt Hanno die perfekten nußbraunen Beine seiner Julia, und Julia liebt Hannos glatten gesprenkelten Rücken wie Vogeleierschalen oder eine Bank aus Marmor. Aber mit fortschreitendem Sommer wird die Haut bei der Hitze vom Lieben zu naß, das ist wieder peinlich. Es ist die Epoche der weißen Frottee-Mode, und sie ziehen es vor, daß Hanno ein Hemd anbehält aus dem saugfähigem Stoff, und Julia trägt an ihren zarten Gelenken flauschige weiße Bänder, es macht eine Schneeflocke aus ihr auch an den heißesten Tagen. Und Hanno ist heilfroh, daß er Julia auch im langärmligen hellen Jeansanzug gefällt, denn darunter verbirgt er oft juckende, rote Gelenke - Neurodermitis - seine Haut scheut den Weltkontakt. Hanno und Julia haben Vergangenheiten, über die sie nicht sprechen, doch es kann ihnen nicht gut gegangen sein, bis sie einander fanden.

Es gibt viele, denen vor der Haut auf gekochter Milch graut, und manche, die Milch überhaupt nur kühlschrankkühl trinken. Aber die Haut des Menschen? Jahrhundertelang haben weiße Leute ihre häßliche Haut verborgen vor Gott und den Menschen, haben Bürgerfrauen ihre Babys in gehäkelte Spitze gehüllt, und das nicht nur der Kälte wegen - sie haben gespürt, daß nicht vorrangig die rotbraunen Geschlechtsteile häßlich sind (die privaten Partien, wie der Engländer sagt), sondern vielmehr die großen weißen Flächen dicker, haarloser Haut.

Und auf einmal soll das alles nicht mehr wahr sein? Auf einmal sollen glucksende Babys fast nackt in geheizten Räumen gehätschelt werden und ihre Fortsetzung in glattgeölten jungen Pärchen auf Schwimmbadwiesen finden? Julias stille, vornehme Mutter hat auf dringenden Wunsch ihres Mannes einen solchen blubbernden Wonneproppen von Babybruder sogar gebären müssen, und die junge Julia hat dieses rutschige weiße Ding gebadet damals. Nie wieder!