Jahresausgabe 1998

Lyrik

von Selda Demirel

jungferngeplapper

die hundertfünfzehnte sure
das elfte gebot
erfinden wollen
als ergebnis
die im körper eingravierte keuschzeichen
als
ein stück haut
alphabetisieren

das ist ihre
hinter dem zaun aufgelesene
überlebensstrategie
unantastbar wie das einmaleins

dahinter das klopfen

wissen drängt sich auf
über die 7`ws hinauf
wartet auf den bruch der nabelschnur
doch
mit zunehmender vorortskenntnis
sich immer mehr schranken
umranken
den pfad der hierarchie
folgend
auf dem gipfel
trollend
zwischen den hochburgen
beim gekonnt oxidieren
die rippenstäbe spüren
dahinter das klopfen

Ant Wort

Schweigen gilt grundsätzlich nicht als Annahme
Du schweigst
Wie soll ich das verstehen ?

Schreibe Ich

Juristisch legitim
sein
             Schweigen
aufzuhängen
schreibe ich
um anderen (auch)
             den Boden
unter den Füßen
wegzuziehen

Suche

Immer wieder such
Such ich nach mir
Such ich nach mir
Immer wieder such
Und vergesse dabei
das Jetzt und Hier

Hommage an die 1. Generation der hier lebenden "Gastarbeiter"

Trost der Unsrigen

Tröste Dich
Manche Dinge sind geblieben
wie sie sollten sein
in den eigenen vier Wänden

Ausgefallen

Ein Jahr danach
"Papa Papa
was hast Du uns mitgebracht aus Deutschland"
"Kommt her Kinderlein
ich habe euch goldene Taler mitgebracht"

Vierzig Jahre danach
"Papa Papa
was hast Du uns mitgebracht aus Deutschland"
"Kommt her Kinderlein
ich habe euch goldene Zähne mitgebracht"

Bleibende Flucht

Sonst
Wird alles genommen
Die geliebte Zwiebel zerhackt
Die Worte zerkleinert
"Kümmel öffne Dich"

Der kullernde Ball
Auf der Bühne der Hoffnung
Jetzt hängengeblieben
Am Schläger des SchiedsRichters
Die Flügel des Adlers
Flüchtet vor IHNEN
Vor dem was ist
Und bleiben wird

Die Autorin:
Geb. 1974 in Sariyahsi Kasabasi (Türkei); seit 1978 in Deutschland; Juristin, Journalistin und in der Jugendarbeit tätig, wohnt in Wetzlar