Jahresausgabe 1999: Schwerpunktthema Polen

Lyrik

von Zbignew Dominiak


Zu spät

Niemand ist bereit Und doch gibt es
Dinge die nicht zur rechten Zeit kommen
Die Jugend nach der Kindheit Nach dem längsten Leben
der Tod

 

Hölderlin

in die dröhnende Furche
zwischen der Sprache und dem Traum
läßt die Welt einen Stein rollen
zerschlägt ihm die Stirn

die Sprache träumt die Welt

 

Caspar David Friedrich

Er kehrt zurück Schlägt die Tür des Ateliers zu Hebt die Hand
Um der gesehenen Welt gerecht zu werden
Die jetzt unter seinem Blick wie die Leinwand verblaßt

Er versucht sein Auge auf Dreieck Quadrat Rhombus zu beschränken
Aus der Feder fließen wie Linien Tropfen schwarzer Tusche

Das Bild ist vollendet Er muß nur noch die nebligen Konturen des
Waldes des Meeres und der Berge ausfüllen
(die Schattierungen des Grüns sind unermeßlich)
Um die nichtirdische Ordnung der Geometrie vor uns zu verstecken

 

Krümelchen Welches Ich wiege

Krümelchen Welches Ich wiege in meinen sehnigen Händen
In der Erinnerung mußt du mich Weit Weit tragen
Hinter den siebten Berg Hinter die Schwelle dieses mörderischen Jahrhunderts
Auf eine ruhige und helle Lichtung des nächsten Jahrhunderts
(die Naivität ist die gemeinsame Eigenschaft der Dichter und Kinder)
Also schau mich aufmerksam an und schmiege dein Köpfchen
An die Brust in der das verängstigte aber stolze Herz schlägt
Er war Sagst du Und liebte Ich brauche keine andere Erlösung

 

 


Übersetzung: Urszula Usakowska-Wolff

Zbigniew Dominiak:
Lyriker und Literaturkritiker; geboren 1947 in Lódz. Studium der polnischen Philologie an der Universität in Lódz. In den 70er Jahren ein aktives Mitglied der demokratischen Opposition, schrieb er später eine Biographie von Lech Walesa. Eine Sammlung seiner literaturkritischen Beiträge erschien 1992 unter dem Titel "Hinter sich". Seine letzten Lyrikveröffentlichungen sind "Das Licht der bösen Nacht" (1993) und "Itinerarium" (1997).
Seit 1996 arbeitet er als Redakteur der Monatsschrift "Tygiel Kultury" in Lódz.