Jahresausgabe 1999:
Abschied
von Hans J. Gappert
Käfer: "Was ist mit Dir? So habe ich Dich noch nie gesehen.
Du gehst herum, Du betrachtest mich, daß man erröten
könnte. Und in Deinen Augen ist etwas, was ich nicht zu deuten
weiß.... Eine Mischung zwischen unendlicher Liebe, Schmerz
und tiefer Traurigkeit, das sich nicht auszudrücken vermag.
Sag doch endlich, was Du hast, laß' mich Anteil nehmen. Sonst
macht es mir Angst!"
Er: "Ich möchte Dir sagen, daß ich mich in Dich
verliebt habe, schon beim ersten Blick. Es macht mir nichts aus,
daß Du aus zweiter Hand kamst. Dein Baujahr 54 und jedes Gramm
Deines Tonnengewichtes ist mir ans Herz gewachsen, obwohl Du nicht
billig warst. Es tut mir leid, wenn ich Dich in den letzten Jahren
manchmal etwas vernachlässigt habe und öfter launisch
war. Es war nicht immer leicht, im zunehmenden Alter auch Deine
Mucken und Launen zu ertragen. Aber laß' Dir sagen, Du hast
mir immer viel bedeutet, auch wenn es mir erst jetzt so richtig
bewußt wurde. Ach - wie soll ich Dir's bloß sagen -
ich meine - ich meine, ach was, ich hab' Dich lieb!
Käfer (schweigt)
Er:"Du sagst ja gar nichts mehr, habe ich was Falsches gesagt?
Dein Schweigen ist unerträglich."
Käfer: "Auch mir fehlen die Worte. Willst Du Abschied
nehmen? Nach über vierzig Jahren sagst Du mir, daß Du
mich liebst. Weißt Du alter Knabe eigentlich nicht, daß
ich das immer gefühlt habe, jetzt da Du das gesagt hast, macht
es mich glücklich und doch gleichzeitig zornig, was heißt
hier Dein Tonnengewicht, eine Unverschämtheit, ich habe eine
gute Figur, schlanke Figur, das hast Du letzte Woche zu mir gesagt,
als ich gewogen wurde und Du mich selbst noch auf der Waage befummeln
wolltest. Und eins möchte ich Dir endlich auch mal sagen: Es
machte mich unendlich wütend, wenn Du in mir warst und es mit
Frauen getrieben hast. Es war mir zwar klar, daß Dir meine
Liebe und Treue nicht genügte, und ich Dir das nicht geben
konnte, was Du brauchtest. Und da ist noch etwas: Du gemeiner Kerl
schieltest ständig nach diesem Mercedes, der verdammten A-Klasse.
Ich weiß gar nicht, was an diesem Typ dran ist, so ein plattes
Hinterteil. Mein Po ist nach dreiundvierzig Jahren noch immer knackig,
sonst würdest Du wohl diesen nicht immer tätscheln, Du
schlimmer Wüstling, Du."
Er:"Komm', komm', jetzt reicht's aber ... Du hast Dir doch
Deine Lichter ausgeguckt, wenn dieser verdammte Daimler der E- und
der S-Klasse an uns vorbeirauschte, daß Dich Deine Kotflügel
lüstern bogen. Du hast meine Wut reichlich genossen, wenn ich
wütend auf's Gas trat und ich dachte: '.... dem werd' ich's
aber geben. Warte, wenn ich Dich bloß erwische'. Wenn's nur
eine Ente gewesen wäre ... Nein, es muß gleich ein Daimler
sein und dieses verdammte Spottgedicht:
A-Klasse
Oh Daimler
Oh Daimler ...
Was hast Du gemacht ...?
Du hast mich ...
Im Elchtest ...
Zur Frau gemacht ....!
Im Schnee ...
Mich auf das Kreuz zu legen
Peinlich ...
Paparazzis waren zugegen.
Liebster ...
Laß' Dir in Zukunft
Etwas mehr Zeit ...
So werde ich eine gute,
nicht anfällige Geliebte sein.
Deine Mercedes
Käfer: "Kommm, fang' nicht wieder einen Streit an, weil
Du in Verlegenheit bist, meinst Du nicht, daß ich das nicht
merke, dazu kenne ich Dich zu gut.
Er: "Du weißt, daß wir in Abständen beim
TÜV waren. Ich hatte Dir die Bedeutung immer etwas abgemildert
beschrieben, weil ich um Deine Empfindlichkeit weiß. Wir beide
haben so viele Jahre auf dem Buckel und soviel mitgemacht. Erinnere
Dich mal, wie Du sagtest: 'Schau diese alte Rostkutsche an', wenn
ein alterndes Auto an uns vorbeifuhr." Das Problem ist, daß
sich dieser TÜV nicht mehr bestechen läßt. Wir dürfen
noch nach Hause fahren und dann wirst Du unwiderruflich aus dem
Verkehr gezogen. Ich möchte mich nicht von Dir trennen. Auch
laß' ich es nicht zu, daß Du auf dem Schrottplatz landest
und dort ausgeschlachtet im Recyclingverfahren wiederverwendet wirst."
Käfer (schnippisch): "Dann begrab' mich doch am Straßenrand,
so kann ich Dich wenigstens immer wieder mit Deiner neuen Tussi
sehen. Oder verbrenne mich und streue die Asche auf die Autobahn."
Er (wütend): "Daß alle über Dich rutschen
können, das kommt gar nicht in Frage, Du bist doch keine Nitribitt.
Und Dir ein Grab schaufeln, das geht auch nicht, schon gar nicht
werde ich schweißtreibend ein Grab Dir von zwei mal zwei Metern
ausheben. So weit geht meine Liebe auch wieder nicht. Ich hätte
noch eine Garage, Dich dort verstauben zu lassen und Dein ständiges
Schluchzen hören zu müssen, macht auch keinen Sinn. Ich
schlage vor, wir vertagen das Gespräch und die Entscheidung.
Wir fahren nach Offenbach am Mainufer zu unserem Lieblingsplatz,
wo ich Dich immer waschen und pflegen durfte und wir beide staunend
den Schiffen nachsahen und träumten. Dieser Platz ist unser
Versöhnungsplatz gewesen, wenn wir uns stritten."
Käfer: "Ooooooh ja, ja: Dort fahren wir hin. An diesem
Platz wurde immer alles gut."
Im Sommer '98 stand in allen hessischen Zeitungen geschrieben,
daß sich am Mainufer ein VW selbständig gemacht hatte,
weil die Bremse nicht angezogen war. Der Fahrer konnte nach der
Bergung des Autos nur tot geborgen werden. Eigentlich schien er
zu lächeln, bemerkte eine Reporterin abschließend. Für
einen kurzen Moment gingen wie zur Bestätigung die Lichter
des Autos noch einmal an, um dann endgültig zu erlöschen.
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