Jahresausgabe 1998

Lyrik

von Rolf Haaser

 

dichterrasse auf der dachterrasse

introintoinfo ibo
adaltaredei
zu gott der mich laetificat
erfreut in meiner jugend

hier ist einer
auf den könnt ihr
nicht bauen

ein wackelkandidat
par excellence

ein schrilles scheues schleuses wackles
mitglied jener
dichterrasse
auf der
dachterrasse

deren wortartistik wertlos
über die hochstadtdächer klingelt
seelefüllendes sälefüllendes schädelfüllendes
publikumslieblingsgetinkel

freilich ragt das eine vielgestaltig in das andere hinein
verschlendert sich verschleudert sich
in der fliehkraft der menschennatur
was immer man darunter verstehen mag

wiedergänger ihrer selbst
der signatur ihrer selbst auf der spur
verbissen im zerschlissenen selbstwiedertäufergewissen
hingetrieben in der flitterkraft der wortwahl
hineingerieben in den zwischenhohlraum namenlosen sprechens

wer will kann lauschen
          auf das tropfen der schatten
          auf das rupfen der schricken in den schachtelhalmen
          auf das schallend-verhallende chlebnikovecho
          der schalterschlachten in den schachtelvorhallen
freilich regte vielgestaltig eines das andere an
vor die hölle hat der herrgott bekanntlich die vorhölle gesetzt

handel mit jandl mariandel mariandel
ja so aussiehts
in der lausitz
wenn ich neben meiner frau sitz
keine lyrik mehr nach auschwitz
supraterrane hochglanzvernunft
kritik von hohem kunstverstand
gepaart mit etwas aber nicht zuviel
altersabstand und zitrosmelancholie

gelegentliche fassadenpassagen
im duktus rektus
ein erekter rektor
ein direkter direktor
eingedickter doktor
plus ein erigenter dirigent
gelegenheit zu a) eleganten frontpassaden
und b) brillierender sonnenbrillen

meer spiele mir
hinweg die kluft
spül mir hinweg die kaltluft
so sangen nach 48 die amerikafahrer

keep the diggerdagger dangling
in the cloak or in the clock
keep the mirth to the murder
said the murderer to frog

unter freilicht freilich
läßt sichs schwerlich schlummern
wenn dir die mittagssonne auf den nägeln brennt
dann mußt du sie kratzen

wittgensteins diktum und wichtigsteins plichtum
daß am ende der sprache
auch das denken ein ende habe
(mein gott welch ein damoklesschwert!)
ein ende finde

 

paläoeskimo

vor einem leeren denkmalsockel kniet er nieder
und bringt welches opfer dar

nicht krausförmige kreiskörnige zeitungsausschnittfetzen
sondern glattrandige blattschnitte aus hochglanzbrochüren

das eingeglaste blei der lettern
an schwere und schwärze der steinkohle gleich
kristallin glänzend und scharfkantig
auffallend ähnlich der struktur des eises

so eingeglitzert
so versteinert eingeeist erscheint ihm wohl sein eigenes leben

auf der erkundung seines ursprungs
auf der entdeckungsreise zu den frühesten zeugnissen seiner existenz
in arktisch-antarktischer vorzeit

gestrandet lebt er nur dafür
nur dem nordlicht hingegeben
anheimgegeben

im grunde eine übung beflügelter haltlosigkeit
ein akt schmerzfreier spurloser selbstauslöschung
selbstauflösung
ein objekt weiß in weiß

 

reimstudien

 

gedichte fliegen in meinem kopf
dahin wie vögel im herbst
ich folge ihnen mit den augen

ist das ein gedicht?
höre ich fragen.
wo bleibt beispielsweise der reim?

versuchs! anordnung.
burime: kopf - herbst - augen

was du wirbst und erwirbst in deinem kopf
auch was als junger mensch bereits du erbst
es steckt gleichwohl dir wie ein pfropf im kropf
und reift zu vollem nutzen selten vor der jahre herbst
und steht dereinst dein leben dir vor augen
dann frage dich - was wird hernach noch taugen

versuch beendet. auswertung.

topfsaures moralingeklopfe scheint
unumgänglich wenn man allen ernstes reimt
und so wechseln wir mit süßlich-saurer miene
im grunde völlig unzufrieden
mit neuen frankfurter schulverseschmieden
ganz titanisch auf die parodistenschiene

scheiterhaufen. kein weiterer versuch erfolgversprechend.

marginaleffekt 1; tendenz abflauend

reim ach reim
geh heim geh heim
laß mich allein

marginaleffekt 2; zu vernachlässigen.

und willst hernach
- geheim - insgeheim -
noch taugen vor augen

ausblick.

wie vögeln
im flug
folgen gedichte
weder vorschrift
noch prätext

another tag yet in a different languish: purely visual

in a nearly morbid state of sensitivity
holding my poems clasped against my body
breath almost collapsed across the city
frozen rays of winter played a perfect melody

joshua rang the battle of de chirico ...

mei
ne
ei
ge
ne
klei
ne
ge
hei
me
rei
me
rei

a
b
a
c
b
a
b
c
a
d
a
d
a