Jahresausgabe 1998
EIN JAHR IN SHANGHAI - aus meinen Notizbüchern
- 10. 11. 1998
von Florian Michnacs
EIN JAHR IN SHANGHAI - aus meinen Notizbüchern
- Florian Michnacs, 10. 11. 1998
5. 11. 1997 - Heute Morgen hatte ich das Gefühl, es sei ein
Tag zum Schreiben, dann verließ ich das Haus. Zweimal wollte
ich im Haus die Richtung ändern, jetzt ist mein Kopf leer.
7. 11. - (Weitere Ideen für meinen Roman, seit April in Planung,
ebenso laufend Ideen bis zur Vollendung im September.)
9. 11. - In der Shanghai Blau Termin für meine Lesung im Café
Schwarz: 13. Dezember. Gestern die Lesung (Christoph Grobe) war
durchschnittlich, aber für Heuchelheim okay.
13. 11. - Die aktuelle Shanghai steht im Domizil, die haben da gestern
alle meine beiden Seiten gelesen. Ich glaube, als Anregung habe
ich die richtigen Gedichte ausgewählt. Ich mache etwas Werbung
mit kleinen, selbstgeschriebenen Zetteln, auf denen der Termin vermerkt
ist. Das ist zwar ungewöhnlich, aber dadurch fällt man
ja auf.
20. 11. - Vielleicht taugt die Schriftstellerei nur zum Hauptberuf.
Man säße dann beruflich vor einem Notizbuch, um dort
ordentlich Ideen einzutragen. Fürs Schreiben erdenkt man sich
eine Art Leidfaden, an dem man sich im Erzählen entlanghangelt,
während man in seinen notierten Ideen blättert. Nebenberuflich
schreibt man hingegen seine Ideen hektisch auf erstbeste Fetzen
Papier, in ungenauen Stichworten, so daß sie einen Wust oder
Haufen zu bilden beginnen, welchen man abwechselnd zu sortieren
und wieder aus dem Weg zu räumen hat, um sonst noch den Haushalt
zu betreiben. So laufe ich im Moment meinen Ideen hinterher, voll
das ambulante Gewerbe. Aber geil.
26. 11. - Wenn ich einen Tag lang geschrieben habe, bin ich ganz
genauso erschöpft von der Arbeit, wie nach einem Tag im Labor.
Aber alles, was ich im Labor produziere, landet im Mülleimer
oder irgendjemand kann damit Karriere machen. Ich bekomme 2000 Mark
raus. Wenn ich zu Hause tagelang lese und schreibe, bekomme ich
dafür keinen Pfennig, aber ich halte am Ende etwas in meinen
Händen.
27. 11. - Gestern im Alten Schloß ein Literaturvortrag von
Rolf Haaser. Es war schon der dritte, den ich aufsuchte. Mir fällt
auf, daß die "etablierte" literarische Kultur, tritt
sie an die Öffentlichkeit, nicht im Stande zu sein scheint,
etwas in Bewegung zu bringen. Es erreicht einfach die Menschen nicht.
Von 70000 erscheinen 7, und zwar leise Greise und Frauen, die schon
zu lange keinen Liebhaber mehr haben. An meiner Novelle kann ich
seit Wochen ausschließlich an Samstagen schreiben, das Material
ist schwierig, ich brauche ganze Tage am Stück. Es sind fast
nur Notizzettel und abgebrochene Schreibversuche, die ich immer
wieder sortieren und lesen muß, um Zusammenhänge zu entdecken,
kompliziertes auf den Punkt zu bringen und Allgemeinplätze
im Erzählstrom einzugliedern.
30 .11. - Letzte Nacht schrieb ich die Novelle ("Diesel/das
Dorf") fertig, aus dramaturgischen Gründen mußte
ich aus der Wirklichkeit ein ganzes Jahr herausschneiden. Konkret
sieht das so aus, daß der Zeitraum Sommer 1992 bis April 1994
auf den Zeitraum Sommer des Jahres in der Geschichte bis April des
folgenden Jahres komprimiert ist. Ich bin ja schon stolz darauf,
daß ich gestern auf die Schnelle noch Steuernagels Geliebte
"Lila" erfand. Lesung von Ludvík Vaculík,
der Vergleich Peter Kurzeck und Ludvík Vaculík bestätigte
meine Auffassung von Sprache: Alles komplizierte raus! Nur Geschichten
sind kompliziert, da darf man sie ruhig einfach erzählen. Seltsamerweise
ist Kurzecks Sprache in den Essays, die ich von ihm kenne, ziemlich
geglückt abgefasst. Aber in seinen Romanen schreibt er völlig
langatmig, verworren und verklausuliert. Er hat Probleme mit den
vielen Worten, die einem bei enger Beschäftigung damit plötzlich
zur Verfügung stehen. Außerdem scheint er davon besessen
zu sein, von nichts anderem als seiner Schriftstellerei zu leben.
Der Vaculík sagte daraufhin zu ihm: <<Aber man MUSS
doch nicht Schriftsteller sein!>> und der Kurzeck wußte
keine Antwort. Vielleicht leiden seine Texte unter der Besessenheit
des Autors. Zwei blasse Menschen von der Straße schneiten
in die laufende Lesung, hörten die beiden Begriffe "Deutschland"
und "Tschechien" und fielen rückwärts wieder
raus, naja.
1. 12. - Die ganze Nacht nicht geschlafen, nur im Bett gewälzt,
weil mir um fünf Uhr morgens plötzlich das Konzept für
die sechs durcheinandergewürfelten Kapitel meines Romans erschien.
Die Einladungskarten (gedruckt von Schätzlein) für meine
Lesung verschickt: 33 Mark Porto!
6. 12. - Informationen über meinen "Feind" Walter
Birk, oh Gott, er wird Lehrer! Er geht mit seiner Freundin zwei
Jahre nach Düren, um dort ein Referendariat anzutreten, die
Schriftstellerei muß dann zwei Jahre ruhen, harharhar!
10. 12. - Paul Hess hat mich interviewt, er nahm an meinen Vorstellungen
von der Schriftstellerei keinen Anstoß, scheinbar bin ich
normal. Ich soll die Lesung mit "Kampfstern Galaktika"
beginnen.
14. 12. - Lesung: Die Story kam an, yeah! Es waren halt bloß
die üblichen acht Leute da, aber das ist schon okay. Heute
hagelte es bei der (guten) Wellershoff-Lesung Entschuldigungen fürs
Nicht-Erscheinen. Insgesamt bin ich auf dem richtigen Gleis, inhaltlich,
thematisch, sprachlich. Aber ich vermisse selbst in so einem Text
noch die nötige Gelassenheit. Paul Hess meinte, ich hätte
ein großes erzählerisches Talent, er hätte auch
noch eine Stunde länger zuhören können (das wären
dann zweieinhalb Stunden). Schätzlein fragte nach einer Fortsetzung.
Nikola dachte, das sei im Vogelsberg ja wie in der DDR, meine Beschreibungen
des Landlebens und der sozialen Beziehungen dort seien sehr gelungen,
auch die Abgeschlossenheit hätte ich gut erfaßt. Man
hat dann noch gefragt, ob die Mutter in der Geschichte ("Die
Waschmaschine war ihr Machtinstrument.") in der Realität
meine Mutter sei, haha! Wellershoff schrieb ein Buch über seine
WW2-Erfahrungen, angenehm unkompliziert und mit viel Gelassenheit,
der kann was!
19. 12. - Gestern Betriebsfeier, Prof. Dr. Werner Seeger saß
mir gegenüber, Abschiedsgeschenk: Reclam Leipzig, Deutsche
Aphorismen, Volltreffer. Rosi hat's ausgesucht, studierte in Leipzig
Germanistik, ich soll ihr mal meine Novelle geben. Ich soll meine
Novelle zu großen Verlagen schicken. Ich glaube, es ist richtig,
die Arbeit aufzugeben. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, was
mich an Walter Birks Beitrag zum Büchner-Rave so stört,
der Text ist doch gar nicht schlecht geschrieben. ABER als er ihn
vortrug, hat er NUR gestammelt. Der Text ist gar nicht Walters Sprache,
er hätte ihn sonst wirklich mit Verve vortragen können,
soviel gibt der schon her (auch wenn gar kein ICE in Gießen
hält und Büchner nicht gewollt hätte, daß einer
nach ihm benannt wird).
25. 12. - Kurzprosa: "25. Dezember 1997" (Weihnachtsgeschichte).
27. und 28. 12. - Kurzprosa: "Ein Bericht über meine Reisen
mit der Linie 1." (über zwei Fahrten im Stadtbus nach
Allendorf und Rödgen, dort jeweils Wanderungen vor der Rückfahrt).
30. 12. - Kurzprosa: "Steine - Butter - Milch" (über
die Häuser meiner Großeltern).
31. 12. - "25. Dezember 1997" als meinen Beitrag für
"Junges Literaturforum Hessen-Thüringen" verschickt,
ich hatte sonst nur zu lange Texte oder "sexlastige Gedichte"
(Herweg) im Angebot.
2. 1. 1998 - Ich war auf dem Arbeitsamt, angeblich ist für
Selbstverwirklichung in unserer Zeit kein Platz, trotzdem habe ich
jetzt endlich Zeit zum Schreiben.
3. 1. - Erste Gedanken über ein Drama, die Gattung ist nach
meinem Geschmack. Mehrere Dramen von Goethe als Lektüre, Aufbereitung
der Arbeitsamterfahrungen für den Roman.
6. 1. - Kurzprosa: "Gebet eines Atheisten im Januar" (an
Georg Edwards Grab). Ab heute tägliche Reisen nach Kleinlinden,
dort Recherchen für meinen Roman, ergab ca. 50 Manuskriptseiten.
12. 1. - Ich habe die ersten elf Seiten der Entwurfsstudie "Der
Unfall" (Drama) geschrieben.
13. 1. - Busfahrt nach Kleinlinden, dort weitere Recherchen für
den Roman, außerdem für das Drama. Ich bin lieber Schriftsteller
als Chemisch-technischer Assistent, Schreiben kann ich besser.
14. 1. - Ich habe die mir vorliegenden Unterlagen über den
Unfall 1981 in Kleinlinden zu einem kompletten Drama verarbeitet.
Ich finde es persönlich eher langweilig.
15. 1. - Der Schriftsteller sucht, erinnert und sammelt. Oder er
findet, erinnert und sammelt. Er sortiert, betrachtet und verknüpft
Bestandteile seiner Sammlung. Oder er erkennt in seiner Sammlung,
indem er sortiert und betrachtet. Dann verknüpft er, nachdem
er erkannt hat. Aus der Verknüpfung kann ein Text entstehen,
die Verknüpfung selbst kann auch schon ein Text sein, muß
sie aber nicht. Seit Wochen Schreibversuche für Romanfragmente,
etwa 100 Seiten.
16. 1. - Ich habe die grüne Kladde gekauft, in der ich meinen
Roman schreiben will.
17. 1. - Ja, es geht. Ich lag vorhin in der Badewanne und habe im
Selbstgespräch die WG von Tina Blum beschrieben. Es floß
wie von selbst. Ich kann den Roman schreiben, Arbeitstitel "Maschine".
Gedicht: "Die totale Malerei" (Satzfetzen aus futuristischen
Manifesten).
18. 1. - Ich habe angefangen, "Maschine" zu schreiben,
bis ein Uhr dreißig morgens. Ich habe am
19. 1. - ...direkt weitergemacht, es läuft gut. Ich tippe die
Romanideen aus den Notizbüchern in chronologischer Reihenfolge.
Er entsteht ganz anders als die Kurzgeschichten oder die Novelle.
20. 1. - Kurzprosa: "Hildesheim" (sexlastig).
21. 1. - Kurzprosa: "Nummer 76" (über das Arbeitsamt,
ein Büro und eine Sachbearbeiterin).
23. 1. - <<Ich bin Sklave meiner Triebe/seit ich Frl. Nicol
liebe/Schnatter! Schnatter! diese Weiber.../sexysexy ihre Leiber>>,
wie schon "Der Plan" einst sang. Junge Literaten sollen
nicht trödeln. Die besten Werke werden mit je Tausend Mark
prämiert. Dreißig Werke werden in einer Anthologie veröffentlicht.
Sie sollen doch letztlich zur Umgestaltung der Gesellschaft beitragen.
24. 1. - Café Schwarz, Lesung von Iljitsch Rumpf, alle Eintragungen
beziehen sich auf Sabine, die mir gegenübersaß. Ich habe
den Text über Irland nicht verstanden, Rumpf ist exaltiert.
25. 1. - Hey, Shanghai! Vielleicht stellt man sie ein. Es ist kein
Geld mehr da. Die Stadt ist zu knauserig. Ich habe alle Ausgaben.
Ein Jahr Literatur in der Gegend hier, ich weiß, wie es hier
läuft. Ich lese bald wieder, vielleicht hält man sich
den Abend frei. Byzanz Total, Café Schwarz und keine Shanghai.
Sonst bloß die Matineelesungen für Frühaufsteher.
27. 1. - Der Schriftsteller geht heute auf eine Lesung, zu Inge
Viett, Terroristin. Genossinnen und Genossen! <<Wie schwerwiegend
ist denn der Ärger, den ihr kriegt?>> fragte Inge Viett
die DKP. Zunächst las sie einen vergleichsweise sehr guten
autobiographischen Text in Auszügen vor und klammerte Polizei,
Verhaftung, Anschläge und weitgehend den Knast aus. <<Ja,
das war ja eine sehr schöne Geschichte, aber ich meine, du
warst doch eine Terroristin.>> Stimmt, aber wer bei den Linksradikalen
davon schwärmt, der erzeugt im Publikum bei aller manchmal
geäußerten Kritik am Morden den Wunsch nach Gewaltausübung.
Das Publikum verlangt sofort, wenn die Diskussion ausbricht, nach
Waffen. Ein Kader (Wo hat er studiert?) wirft Rosa Luxemburg, Krupp,
Thyssen, Nolte, Stalin und Hitler wild zusammen und fordert die
soziale Grundlage einer Stadtguerilla im Hier und Jetzt. Sie schwärmen
vom Widerstand, <<Der Verfassungsschutz ist auch heute hier!>>
und sie fürchten Unterwanderung. <<Bis auf den Steinmetz
ist das nie jemandem gelungen, und der wurde dann ja auch erschossen.>>
Deshalb fordern sie einen selbstbestimmten Widerstand. Und warten
soll man: <<Warte doch mal kurz. Nee, warte mal.>> (Allgemeines
Gelächter.) <<Es ist für das einfache Volk doch
leichter, nach unten zu treten, als nach oben zu kämpfen.>>
<<Der Staat bringt mich aber nicht um. Es ist mir auch egal,
von wem ich ermordet werde.>> <<Mir ist das nicht egal,
ob ich von der Polizei oder von der RAF ermordet werde.>>
<<Wir müssen den Sozialismus aufarbeiten.>> <<Man
muß das System Scheiße finden können.>> Ja.
Die Damen in der Literaturszene: Sie sind liebevoll im Umgang mit
jeder Tasse Kaffee, die sie einem anbieten. Sie stehen lächelnd
hinter dem Kuchenbuffet. Sonst sind sie im Alltag die grauen Mäuse.
Sie schauen lächelnd gedankenversunken nach rechts oben ins
Leere oder in den Sonnenschein. Sie tragen Übersetzungen von
russischen Gedichten vor wie in der Schule, nicht mit Inbrunst,
und setzen sich dann hinter den Stand von der Arbeitsgruppe für
experimentelle Literatur zu ihren bärtigen, klopsigen Kumpanen.
1. 2. - Wenn man einen Roman schreibt, darf man nur den Handlungsstrang
geplant haben. Die Geschichte muß sich praktisch "von
selbst" erzählen und baut sich bloß am Handlungsstrang
entlang auf. Schauplatz für den Roman nach Maschine gefunden,
erste Ideen.
3. 2. - Heute liest der Pole Henryk Bereska, Lyriker. Der Roman
schreibt sich gut. Die Lesung war initiiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung,
der Moderator war vollkommen geschmacklos eingekleidet. Ich war
nicht konzentriert genug, um seinen Ausführungen zu folgen:
<<Ich hoffe, sie wieder einmal auf einer Veranstaltung der
Konrad-Adenauer-Stiftung begrüßen zu dürfen. Wir
danken auch dem wundervollen Autoren, und gerade in so einer kleinen
Runde macht es ja erst richtig Spaß, so etwas zu hören
und gemeinsam zu erleben.>> Der Dichter bezog seine Lesung
auf das zusammengebrochene, östliche, sozialistische Reich.
Die Texte waren ausgesprochen nüchtern. Wenn man sich nicht
konzentrierte, hat man wohl wenig verpasst, er hat das auch in kleinen
Bemerkungen zwischendurch fast so angedeutet, weil uns im Westen
der Bezug zum Thema einfach völlig fehlt. Er hat aber Erzähltalent!
Das merkte man, wenn er erklärte oder auf Fragen antwortete,
da floß es einfach so dahin. Nur Rentner oder emeritierte
und ganz wenige, im Dienst befindliche Professoren waren da. Ein
junges Ding von der Stiftung trank ein (!) Glas Wasser, der Dichter
dauernd Wein, das Publikum Bier. Nikola Herweg meinte zu mir, daß
ich demnächst in einer Sendung auf "Radio Unerhört"
zu Gast sein soll, saugute Agentin!
7. 2. - Ich saß im Café Schwarz und wechselte zwei
Sätze mit Christoph Grobe. Heute las Marco Michels, das Publikum
bestand im wesentlichen aus seinen Eltern, Studienkollegen und ähnlichem.
Dann waren noch die üblichen Leute da. Ich hatte ein Notizbuch
mit und konnte somit während der Autor las an zwei Gedichten
arbeiten. Das war eine ganz neue Erfahrung. Ich konnte auch ein
paar meiner Postulate über das Schreiben bestätigt sehen:
Man sollte mit Sex und Fäkalien sparsam umgehen. Man sollte
in der Sprache auch auf den Punkt kommen, nur eine erzählte
Geschichte darf kompliziert sein. Ich beschloß außerdem,
selbst keine sogenannten "sprachkritischen" Texte zu schreiben.
Ich fragte dann, als nach dem Applaus überhaupt keine Diskussion
in Gang kam, ob der Autor von Hand oder am Computer seine Texte
schreibt: Erst von Hand und dann am Computer. Ich habe den Vater
des Autors anschließend noch dahingehend beruhigt, daß
das den Texten sprachlich auch "sehr gut steht".
8. 2. - Morgens im Bett die erste Sexszene meines Romans geschrieben
(prüde wie nur was).
9. 2. - Ich habe aus Langeweile Harald Schätzlein angerufen,
und er sagte mir so nebenbei, daß ich mir für die neue
Byzanz Gedanken zum Thema Wilhelminismus machen soll. Ich weiß
gar nicht, was das ist. Gedicht: "Gedanken zum Wilhelminismus"
(auf historischen Fakten basierend).
13. 2. - Vorbereitungen für ein Interview mit Gerald Zschorsch
(war 1975 bis 1980 in Gießen, Lyriker, Suhrkamp und Klett-Cotta,
1981 Rom-Preis der Villa Massimo). Ist Gerald ein Held?
16. 2. - Falls ich meinen Roman beende, könnte er beim Publikum
durchfallen, wegen der unmodernen, gebrochenen Erzählperspektive.
Die Welten in der Literatur der Postmoderne sind so, daß sie
jeder tatsächlichen Komplexität spotten, sind zu klar,
zu überschaubar, zu einfach. Ich habe den Ludwig Börne
ein Jahr zu spät entdeckt.
18. 2. - Es gibt hier in Gießen mehr Copy-Shops als Coffee-Shops
in Amsterdam. Geh kopieren und verteile Deine Kopien an alle, sie
würden gerne etwas von Dir lesen. Versuche, aus Gießen
herauszukommen. Ich schreibe einen Roman, der spielt hier. Er handelt
von uns. Wie wir hier hängen, wie wir vom Geld abgeschnitten
sind und wie wir beschissen werden.
21. 2. - Bei einer Lesung von Reinhard Fiedler war ich heute. Die
Gedichte mit Endreim, und das einzige Gedicht, das positiv hervorstach,
war auch das älteste. Insgesamt zu Calvinistisch. Dann Prosa,
unglaublich lang. Er selbst stand im Mittelpunkt, konnte in der
Schule keine Chemie und diskutierte mit seinem besten Freund über
Theologie. Ursula war der Stern seines jungen Lebens. Dann aber
kam Sabrina aus Kaiserslautern. Mit Crescendo bis in den rauschhaften
Zustand, wie eine echte Russin. Und "Florestan" (Held)
versank, dann wurde der Autor psychisch krank. Er demonstrierte
an der Startbahn West, aber diese Episode will er lieber streichen
aus seinem Leben. Die Lesung war rasant aber unglaublich öde.
Er hat als Teenager auch einen Roman über die Atombombe geschrieben,
den hat er aber wieder verbrannt.
23. 2. - Ist Peter Kurzeck ein hessischer James Joyce? Ist Gerald
ein Held?
27. 2. - Gestern die Flyer für meine Lesung verteilt. Wer weiß
eigentlich, daß die Lesung stattfindet? Alle wollen zu meiner
Lesung kommen, es ist wie beim letzten Mal. Schätzlein will
Lyrik von mir in eine Gießen-Anthologie aufnehmen und ins
Internet einspeisen.
1. 3. - Gestern noch ein paar Flyer verteilt, wahrscheinlich bleibt
meine Lesung unbeachtet. Ich versuche, nicht so einen seriösen
Eindruck zu hinterlassen (Totenkopfmotiv etc.), damit die Leute
nicht denken, das sei wie in der Schule: Stillsitzen, Zuhören,
Nachdenken. Die meisten Literaturveranstaltungen sind extrem langweilig,
deshalb findet es kaum Zuspruch.
2. 3. - Ich ging ins Domizil, die Atmosphäre ist feindselig.
Man begegnete mir mit einer total negativen Erwartungshaltung. Am
besten hätte ich die Lesung über die Bühne gebracht,
bevor die Gäste kommen. Die Anwesenden rechneten gestern Abend
bloß mit Peinlichkeiten und Langeweile, das ist meine Erfahrung
mit Lesungen anderer Autoren. Ich hätte eigentlich gerne so
ein Image wie Slayer, aber damit verbreitet man nur Angst und Schrecken.
Noch mehr Flyer verteilt.
4. 3. - Die Lesung war ein Erfolg! Mein Mitbewohner hat mich mit
Parfüm eingenebelt, weil Betti gemeint hatte, ich soll mich
so ein wenig herausputzen. Es waren ungefähr 25 Leute da, alles
Nachtschwärmer und Säufer. Niemand außer Hess und
Schätzlein ist je auf einer regulären Lesung in Gießen
zu sehen gewesen, es war auch niemand aus dem üblichen Zielpublikum
da. Ich habe eine völlig andere Sorte Mensch erreicht. Und
alle waren begeistert, bis zuletzt andächtig zugehört
haben sie und applaudiert. Keine Diskussion über das Autobiographische
(Würg!), dafür Schulterklopfen und ungezwungenes, persönliches
Gespräch mit dem Bier in der Hand. Auch Betti war völlig
angetan. Ich habe ganz schön Pluspunkte gesammelt. Hille ist
jetzt mein Fan. Ich erhielt von vielen Seiten Bestätigungen
für meine Theorie von der negativen Erwartungshaltung gegenüber
Literaturveranstaltungen. Mark bemerkte, er habe sich unterhalten
gefühlt, was bei kulturellen Anlässen sonst nicht der
Fall sei. Am besten an meiner Lesung fand ich, daß ich danach
mit einem Kunsthistoriker und einem Philosophen Scotch trinken konnte,
und daß ich neben attraktiven Frauen saß, die ihr Bein
an meins drückten. Leider konnte ich mich zwischen ihnen nicht
entscheiden.
7. 3. - Gestern habe ich wieder soviel geschrieben, daß mir
bald der Arm abfiel. (Seit Mitte Februar hing ich der Wahnidee an,
ein Buch mit Übersetzungen der Texte Marshall McLuhans einfach
abzuschreiben. Am Ende 40000 Worte in Notizbüchern parallel
zum Roman in vier Wochen.) Im Sowieso begrüßten mich
Christian und sein Freund als "Star", die Leute würden
jetzt über mich reden. Einige Leute fanden die Novelle für
eine Lesung in einer Kneipe zu lang, aber Christian meinte auch,
daß die Atmosphäre besser war, als bei einer normalen
Lesung.
8. 3. - Ich will zum erstenmal die Erzählperspektive des Romans
ändern, mehr wie aus einem Guß schreiben. Die Menschen
in der Roman-Stadt fühlen sich wie gerädert. Sie betrinken
sich an den Abenden und haben dann morgens immer einen dicken Schädel.
Sie können sich auch nicht verlieben, sie bumsen mit sonstwem
oder gar nicht. Ob sie jemals aus der Stadt fortkommen?
15. 3. - Seit 1993 habe ich etwa ein Dutzend "Bücher"
geschrieben. Davon die Hälfte im letzten Jahr. Natürlich
sind alle sehr exclusiv für mich selbst, aber es wird den Roman
geben. In den nächsten Tagen beende ich den ersten von sechs
Teilen. Seltsam: Ich stehe bei meinem Roman vor keinem anderen Problem,
als beim Füllen meiner "Bücher" - ich muß
unheimlich viele Seiten Papier beschriften. Es gibt praktisch keine
andere Schwierigkeit.
18. 3. - (24. Geburtstag) Bettina Tydemann war die erste Frau, die
mich geküßt hat, als ich 24 war. Ich werde jetzt ernstgenommen,
sagte sie, wegen meiner Lesung.
19. 3. - und folgende Zeit, ich ging kaum noch vor die Tür,
weil ich dauernd schrieb. Erzählperspektive im Roman geändert,
Recherchen zu einzelnen Charakteren und zum Sujet in Büchern
aus meinen Regalen (Shere Hite etc.) und der Stadtbibliothek.
24. 3. - Die Freundin meines Mitbewohners hält meine alten
Gedichte für depressiv und zornig, die Wortwahl sei auch sehr
hart. Man könnte keines dieser Gedichte abends jemandem vorlesen.
Ich sagte, daß ich auch schon freundliche Liebesgedichte schrieb.
29. 3. - Dazu übergegangen, meine Notizhefte in Hinsicht darauf
zu schreiben, Stoff für den Roman zu haben. Ich will meine
Hauptfigur anders skizzieren, weiter von mir selbst entfernt, nicht
mehr mit mir identisch. Keine autobiographischen Texte.
31. 3. - Wenn man sowieso "immer wieder das gleiche Buch schreibt",
dann heißt "einen Roman schreiben" ja nur, man hat
den Sachen, die man sowieso schreiben wird, nur vorher eine Handlung
verpaßt. Und aus dem Zusammentreffen entsteht eine gebrochene
Perspektive.
2. 4. - Ich soll morgen ins Radio! Ich soll Bier, Texte und Musik
mitbringen. Ob ich schon was an irgendwelche Verlage geschickt hätte,
ob ich sowas wie ein Buch plane. Es reizt mich schon, von der Masse
bewundert zu werden, aber ich stehe vor der Verlagslandschaft wie
der Ochs vorm Berg. Ich will mich erstmal auskennen. Ich weiß
nicht mal genau womit. Vielleicht will ich auch in Ruhe das Roman-Manuskript
schreiben. Die Leute glauben, daß ich mal berühmt werde.
Das hat mir neulich einer von ihnen gesteckt, ich selbst kann dazu
nichts sagen. Meine literarischen Wurzeln sind eigentlich Pornographie
und Science Fiction, fand ich immer am besten.
4. 4. - Radio war eine lustige Party. Aus der Novelle gelesen, Vergleiche
mit Kerouac und Grass, jetzt hörts aber auf! Am Ende war ich
total betrunken, weil mir Nikoloa Herweg gesagt hatte, ich soll
Bier mitbringen, habe ich natürlich gemacht. Christoph Grobe
war auch mit, las aus seinem Roman eine Art Sexszene, und die Spezialisten
im Studio hatten irgendwas daran auszusetzen, das sehr fachlich
war. Aus solchen Gründen habe ich noch nie ein Buch gelesen.
Nikola schreibt nur, um reich und berühmt zu werden, das ist
ein gutes Motiv, weil man als "Literat" um viel zu viel
Geld beschissen wird. Grobe kann was, erschließt sich beim
zweiten Mal und danach. Das "Junge Literaturforum" wollte
meine Weihnachtsgeschichte nicht, im Brief steht: <<Unsere
größten literarischen Geister haben häufig auf die
wesentliche Rolle hingewiesen, die Arbeit und Anstrengung bei dem
Vorgang spielt, dessen Ergebnis wir Kunst nennen. Viele von Ihnen
legen unverdrossen in jedem Jahr der Jury einen neuen Text vor,
und ich möchte meinen Respekt vor dieser Haltung nicht verhehlen.
Manchmal erzwingt solche Hartnäckigkeit den Erfolg auf diese
mühsame, aber zutiefst künstlerische Weise.>> Was
für ein Idiot! Meint der das ernst?
7. 4. - Am Telefon, mein ehemaliger Vorgesetzter über meine
Novelle: <<Das war ja nun doch eher autobiographisch. (Das
denken alle, stimmt aber nicht, das ist der Trick bei Literatur.)
Es stellt sich ja dann schon die Frage, ob dir so etwas nochmal
gelingt.>> Ja, denke schon.
8. 4. - Was ich in der Literatur von heute vermisse, ist Humor (eigentlich
Witz!), Pornographie, Perspektive (seltsame Perspektive!). Denn
man darf ja nie vergessen: Wie sehr man sich auch anstrengen mag
- die Literatur kann gar nicht anders als fiktiv sein. Denn man
kann immer einen Maßstab anlegen, gemäß dem die
Schilderung von der Realität meilenweit entfernt liegt. Und
in der Fiktivität liegt ja die Stärke. Mit "Realismus"
kann man das Publikum aber gut verarschen. Jörg Brixel sieht
aus wie der junge Grass in Italien, Harald Schätzlein ist ein
Gespenst.
10. 4. - Also, der Roman beginnt, indem wir annehmen, daß
es in Hessen eine Stadt gibt, die Maschine heißt. Und in dieser
Stadt gibt es den Sternack (Held). Parallel zum Sternack-Ich gibt
es das Autor-Ich, aber Sternack ist nur das Ich, aus dessen Perspektive
"Maschine" erzählt wird. Wahrscheinlich muß
ich unabhängig von der Gliederung in sechs Teile zwei Erzählebenen
getrennt darstellen. Sternack-Ich nur in wörtlicher Rede? Das
Autor-Ich (fiktiv!) nimmt "Ich" gar nicht in den Mund?
Eigentlich wird die Geschichte zersplittert.
12. 4. - Ich habe gestern im Hard Rock-Café mit Maria geredet
und ihr erklärt, daß sie nicht so viele Bücher lesen
soll, sondern sich mehr mit den Menschen beschäftigen. Sie
hielt das für eine Anspielung, gab mir aber Recht. Sie wirkt
immer so unschuldig, zuckt zusammen, wenn man über Katholizismus
flucht, und dann in der Rockerkneipe arbeiten, oh je!
18. 4. - Erik hat mit den Leuten über mich gesprochen. <<Du
kommst mit uns, Geld ist kein Problem. Wir zahlen dich sechs Jahre.
Wir zahlen, wenn du in einer anderen Stadt wohnen mußt, Paris,
egal.>> Blablabla. Mal schauen, ich treffe ihn heute evtl.
im Ziegelschiff. Selbst wenn das stimmt, ich muß ja nicht,
aber damit könnte ich woanders Druck machen. Abends im Ziegelschiff
gesessen zwischen Lehrern und sonstigen Akademikern. Wenig Bewegung,
Kopfmenschen, aber die Band kam an. Ich habe permanent nichts gezahlt,
denn Geld ist da, bis mich nach der Taxifahrt ins Domizil eine der
HolländerInnen bat: <<Bring uns doch bitte mal etwas
zu trinken mit.>> - nachdem ich schon ein Bier hatte. Dann
hatte ich eine Telefonnummer in Amsterdam. Ich soll in zwei Jahren
anrufen, wenn mein Buch fertig ist: 0031 20 622 5016, versucht Euer
Glück ruhig. In 1992 habe ich mal notiert, daß in Büchern
Sarkasmus, Blut & Gewalt, Phantasie und Sex wichtig sind: und
es stimmt! Aber das war damals Leseerfahrung. Heute habe ich andere
Gründe, so zu denken.
21. 4. - In Maschine wird das Rathaus abbgerissen, was für
eine Idee. Sternack ist Zeuge. Ich schreibe einen unseriösen
Roman - Hurra! Hurra! Hurra!
25. 4. - Anfrage eines Gießener Rockmusikers (Stefan Wagner),
ob ich ihm Texte für ein Band-Projekt schreiben könnte.
Bis Ende April vier Stück (Punk, Blues). Wenn ich in fünfzehn
Jahren zurückblicke, kann es sein, daß mir alles, was
ich dann schreibe, als im Vergleich seichte Scheiße vorkommt,
oder als zur Ruhe gekommen. Der Kellner aus dem Café Schwarz
(Lesereihe! Wichtige Person!) fährt im RKH-Bus nach Linden
und trägt pralle Plastiktüten mit dem Aufdruck, daß
man sie mehrmals verwenden soll, außerdem Mantel und Hut.
28. 4. - Betti im Domizil fragte, ob ich jetzt mal andere Leute
kenne, die schreiben. <<Ja, Brixel zum Beispiel halt.>>
<<Nee, schon so welche, die richtig schreiben.>> <<Ja,
aber an was soll man das denn festmachen?>> <<Ja, ich
meine, die Byzanz und die Shanghai ist ja alles ganz nett. Aber
welche, die über so ein gewisses Level hinauskommen.>>
Ich brauche wen, über den ich an einen Verlag gerate.
29. 4. - Es war ganz exakt richtig, daß ich Schriftsteller
geworden bin. Als Betti mir sagte, sie nähmen mich seit der
Lesung ernst, wurde mir fast eine Last von der Schulter genommen.
Außerdem wurde ich geküßt, das hatte aber mit dem
Geburtstag zu tun. Dann habe ich keinen Verlag und verdiene mit
dem Kram, den ich schreibe, gar kein Geld: Das klingt doch seriös.
30. 4. - Schreiben erfordert eine Engelsgeduld. Ich muß nur
daran denken, wie lange ich schon an der kurzen Abriß-Szene
schreibe. Ruhe brauche ich dazu auch, aber nicht in meiner Umgebung
(ganz im Gegenteil!), sondern in mir selbst. Also, ich bin definitiv
nicht der Mensch, der sofort empört aufschreit, wenn nachts
auf der Straße Lärm ist oder im Haus. Stefan die Texte
gegeben, ein paar Leute haben sie gesehen, finden sie bis auf den
ersten gut. Jörg Brixel hat auch noch nie was an Verlage geschickt
und ebenfalls so einen Formbrief von dem Wettbewerb daheim. Bettis
Einschätzung von Byzanz/Shanghai findet Jeanette unfair. (People
try to put us down/just because we get around/the things they do
look awful cold/I hope I die before I get old.) Jeanette meint,
Jörg Brixel würde auch ewig so weiterleben, wie zur Zeit.
1. 5. - In der Stadt eine Familie verfolgt und beobachtet, wie sie
einen Spaziergang machten, dabei auch in einem Gehölz versteckt.
Recherche für den Roman. Steuernagel zieht darin nach Frankfurt.
3. 5. - Wir sind eigentlich sehr schlechte Schriftsteller. Wir schaffen
es nicht einmal, uns um einen Verlag zu kümmern. Meine kleine
Welt: Ein Haufen Papier auf einem Tisch, der mal in einer Eisdiele
stand. Der Roman bedeutet für mich im Moment nur Arbeit, bis
eines Tages.
4. 5. - Brief an Suhrkamp, biete meine Novelle an, sage, daß
ich "ein paar Bücher" von denen "ganz gut"
finde. Das ist meine ehrliche Meinung, nicht mehr und nicht weniger.
6. 5. - Konzept für ein Drama aus "Der Unfall", erste
Idee.
7. 5. - Jetzt habe ich ja doch an einen Verlag geschrieben! Ja,
wir Deutschen: Wir essen Unmengen an Kartoffeln und können
es deshalb mit jedem Feind aufnehmen. Ein Buch allein reicht nicht,
man braucht auch Charisma, um im Literaturzirkus etwas zu werden.
Mein Charisma ist provinziell, versoffen, faul, dreckig, vorlaut,
halbgebildet, angeberisch, risikofreudig. Wahrscheinlich haben sie
bei Suhrkamp "Bauernsohn Steuernagel" und "Nieder-Ohmen"
gelesen und schon gelacht. In Gießen erreicht man immer nur
dieselben Leute. Hier fällt niemandem was besseres ein, um
einen Verlag zu finden, Probleme von Provinzpoeten. Scheinbar bin
ich mit meinem Brief an Suhrkamp ein Pionier, aber Jörg meint,
ich hätte mich da <<eher angewidert>>. Naja, das
Qualitätskriterium ist immer die Publikumsreaktion. Und wer
zum Trost kein Mädchen kennt, pfeift auf dem letzten Loch.
Und wenn das ganze Geld verbrennt, die Asche bleibt uns doch.
10. 5. - Neue Verse (direktere Art, Gedichte zu schreiben; einfach
ungekünstelt und nüchtern aufschreiben, was ich denke,
das ganze in einzelnen, miteinander harmonierenden Zeilen).
13. 5. - Vor drei Tagen habe ich angefangen zu rauchen. Unter Nikotineinfluß
kann ich meine Texte hemmungsloser kürzen. Geheimtip! Man müßte
alle Nichtraucher in die Armee stecken. Sollte ich meinen Roman
neu anfangen? Mich am Ideen-Typoskript entlangschreiben? Nur meine
ganz persönlichen Helden aufbauen? Ich schmiede schöne
Verse, jetzt endlich. Ich tippe den Roman in einer besseren Fassung.
Er ist ziemlich rotzig! Das macht mir Spaß, Suhrkamp wird
das nicht.
16. 5. - Die Herweg ist die kompetenteste Agentin, die ich bisher
hatte. Sie hat mich binnen kürzester Zeit zweimal in die Zeitung
und ins Radio gebracht.
18. 5. - Ich will Schundromane schreiben, die Gattung macht am meisten
Spaß. Ich habe vorhin ein wirklich gutes Gedicht geschrieben:
"Hat jemand eine Kippe für mich?" Seltsam, ich habe
jahrelang geschrieben, um jetzt erst am Anfang zu sein. Hundert
seltsame Gedichte bis ich sagen kann, was ich sagen will. Eine Novelle,
damit ich Romane schreiben kann.
21. 5. - In drei Tagen an der Schreibmaschine aus "Der Unfall",
Übersetzungen von amerikanischen Musik-Texten (Death Metal,
Punk, Hardcore, New Wave) und Aussagen meines Bekannten Erik ein
Drama geschrieben: "Jesus = Müll (kontemplativ)",
das Ende hat aber zuviel Pathos.
26. 5. - Claudia Peinzger findet, das Drama klingt frisch, die Kinderrollen
sind problematisch, der Jesus ist zu dominant. Übersetzung
der kompletten Texte einer amerikanischen Hardcore-Schallplatte
ins Deutsche, Umwandlung in Prosa für meinen Roman.
27. 5. - Mein Mitbewohner meint, ich soll die evangelische Kirche
fragen, ob sie mir hilft, mein Stück aufzuführen. Hat
es zurückgegeben. Im Sowieso mit Tobias Meinhardt gesprochen:
Er hatte mit Wolf Schreiber und anderen in Gießen gegen Ende
der 80er Jahre mal eine Literaturzeitschrift: "Vorort".
Wolf schrieb ein Gedicht, in dem es darum ging, daß Jesus
geboren wurde, weil Maria und Josef Geschlechtsverkehr hatten. Und
Jesus bedankt sich dafür bei Josef. An diesem Gedicht scheiterte
das Heft, Tobias Eltern sind Christen (Vater Pfarrer), und die Mutter
bot damals an, die gesamte Auflage zu kaufen, um sie zu vernichten.
Als sie nächtelang geheult hatte, weil sie sich fragte, was
sie bei ihrem Sohn falsch gemacht hat, hat Tobias aus Verzweiflung
das Heft eingestellt und allen Käufern aufgetragen, die Seite
mit diesem Gedicht herauszureißen. Das sei ein Fehler gewesen.
Er hält Byzanz Total für ziemlich gut, nicht nur für
Gießen.
3. 6. - Der Roman müßte am Ende (geschätzte) 90000
Wörter haben. Etwa 200 Seiten mit 38 Zeilen zu je ca. 12 Wörtern.
Den ersten Teil heute in der neuen Fassung fertiggetippt, besser
als das Manuskript.
5. 6. - Der Ich-Erzähler darf sich nicht mit dem Leser verbünden!
Das werde ich aus dem Manuskript rauswerfen, das werde ich aber
zunächst beenden, dann die Feinarbeit. Ich halte es für
wichtig, das Inhaltliche dem Ästhetischen voranzustellen. In
"Ansichten des Romans" von E. M. Forster entdeckt: André
Gide - Die Falschmünzer, hat eine oberflächliche Ähnlichkeit
mit meinem Konzept. Kaufen!!! Kann man einen vollkommen seriösen
Text schreiben? Es gibt da so ein Klischee, von dem ich aber nicht
weiß, ob es Seriosität oder Langeweile meint.
8. 6. - Gibt es für Gießener Romane der Gegenwart eine
Art übergeordneten Stil? Zum Beispiel die Darstellung von Sexualität
als ein Teil der normalen Lebenswirklichkeit von Erwachsenen bei
Christoph Grobe. Die modernen Menschen in Gießener Romangegenwarten
widersprechen ganz erheblich der Darstellung selbiger in den Massenmedien.
In Gießener Romanen sind sie nicht durch Oberflächlichkeit
und Austauschbarkeit gekennzeichnet. Die emotionale Bandbreite ist
vielseitiger, die Lebensentwürfe sind seltsam. Sibylle Berg
etwa macht das ganz anders.
9. 6. - Brief vom LiteraturBüro, am 17. Juni ist im Café
Schwarz ein großes Literaturtreffen aller Schreibenden, die
Rolf Haaser kennt. Er hat Brixel vergessen, dabei ist Jörg
der Gießener Lyrik-King, vor ihm war nur Gerald Zschorsch.
15. 6. - Schreiben geht jetzt ratzfatz, der Roman wächst, die
Durststrecke der ersten beiden Teile ist überwunden. Ich kann
nun komplett an meine Niederschriften aus dem letzten Jahr anknüpfen.
18. 6. - Im Café Schwarz gewesen, der übliche Haufen
von Autoren. Selda Demirel ist die schönste Autorin Gießens,
aber sie kann gerade keine Lyrik schreiben, weil sie so glücklich
ist. Die meisten müssen zuviel arbeiten und kommen nicht zum
Schreiben (?!?). Reza hatte eine Lesung in Paris und legt beim Schreiben
nur drauf. Er hat mich gefragt, was ihm eine Gedenktafel an einer
Hausmauer nützt, wenn er tot ist. Er muß jetzt satt werden.
Die Veranstaltung zum Stadtjubiläum am 28. 6. ist wahrscheinlich
unseriös, die Initiatoren kamen nicht zum Vorgespräch.
Die meisten Anwesenden schreiben selten und probieren das nur mal
aus (?!?). Klaus Frahm findet bei Verlagen mit seinem Krimi ("Familienkomödie")
und bei Dichtern mit seiner Lyrik ("Das sind keine Gedichte.")
keine Anerkennung. Das Kulturamt hat der Shanghai nicht genug Geld
angeboten, Rolf Haaser warf Millionenbeträge durch den Raum,
die das Theater bekommt. Kennt eigentlich irgendwer die Typen, die
beim "Jungen Literaturforum" absahnten? Die aus Gießen?
26. 6. - Die Schwester meines Mitbewohners ist aus den USA zu Besuch.
Ich wußte gar nicht, daß ich absolut fließend
Englisch spreche. Ihr Sohn und ihre Tochter (19 und 16) wollten
bis heute Schriftsteller werden, weil ihre Mutter mal geschrieben
hat und ihr Großvater schreibt. Seit sie MICH gesehen haben,
und vor allem, daß ich den ganzen Tag nichts anderes mache
als Schreiben (2000 Wörter zur Zeit mindestens), haben sie
ihren Plan aufgegeben. Die Mutter meint, ich sollte in die USA gehen,
weil ich da Geld, einen Computer und "more opportunities for
your writing" bekäme. Alles hier sei technologisch dreißig
Jahre im Rückstand, telefonieren sei im Vergleich fast unmöglich;
ich erklärte, daß es hier normal ist, ständig von
anderen Menschen angerempelt und berührt zu werden. Alle drei
erlitten einen Kulturschock, sind für meine Hilfe dankbar.
Im EXPRESS war eine Annonce, in Marburg wird ein Drama mit vier
gleichwertigen Rollen gesucht. Ich rief an, meins ist denen zu groß.
Daraufhin gab ich ihnen die Adresse von Norbert Umsonst (Gießener
Autor, der Shanghai nicht bekannt, 1997 "Die Wohnung"
selbstveröffentlicht, szenische Darstellung über Homosexualität
eines Sohnes in einer bürgerlichen Familie). Die Schwester
meines Mitbewohners ist nicht von der Überzeugung abzubringen,
ich sei ein Intellektueller. Die Tochter findet es am interessantesten,
daß ich systematisch meine Nachbarn beobachte und darüber
schreibe.
28. 6. - Stadtjubiläum. Der Kerl, den ich aus dem Hard Rock-Café
kenne (sagt, daß er schreibt, hat einen riesigen Stapel angefangener
Dramen daheim), heißt Antal. Ich habe ihn nach Marburg vermittelt.
Er meint, daß er aus seinen Fragmenten ein Stück mit
vier Rollen machen kann. Er war einer der Darsteller bei den "Gießener
Geschichten" im Rahmen des Literatursalons. Ich habe einen
Text von Börne erkannt und erhielt dafür Applaus. Zum
erstenmal in meinem Leben hat es sich bezahlt gemacht, ein Buch
gelesen zu haben. Die Theaterleute waren besser, als ich gedacht
habe, ich habe stundenlang zugesehen. Leider gingen die Lesungen
des LiteraturBüros mehr oder weniger in die Hose: Einer las
an einem Tisch vor (Hafemann?) und ging sofort ganz nach Hause.
Die beiden Gäste an diesem Tisch schickten jeden sofort weg
(vehement), der nach dem Autor an dem Tisch lesen wollte. Ich habe
aber keine Ahnung, was der Kerl vorlas. Ich hörte Demirel (Liebeslyrik,
gelungen), Kunz (nur Prosa, Lyrik bevor ich dazukam, blieb eine
Stunde am selben Tisch und das bei wohlwollendem Publikum), Bayer
(Geschichten aus Arbeitswelt und Erotik im Büro, lustig, sprachlich
gewitzt mit Einlagen; aber die Erotik glitt in ganz starken und
immer mehr ausufernden Symbolismus ab), Mark Tell Weber ("Verwandtschaft",
Edition Zollstock, ISBN 3-931237-02-8 - kauf oder stirb!). Warum
ging das aber in die Hose? Die Akustik war so grottenschlecht, daß
man sein Ohr an den Mund des/der Lesenden pressen mußte, um
etwas zu verstehen. Wenn man einen halben Meter vom Autorenmund
entfernt war, hat man nicht mehr gemerkt, daß eine Lesung
stattfindet. Da saß dann halt jemand, der sich über ein
Blatt Papier beugte und die Lippen bewegte. Das ist natürlich
nicht nützlich für einen Zuhörer. Gegen 23 Uhr unterhielt
ich mich höchstpersönlich mit dem Oberbürgermeister
Manfred Mutz über das Geld für die Shanghai (DM 6000).
Das Theater erhält mehr als viermal soviel, wie Rolf Haaser
denkt! Ich habe dem Oberbürgermeister gesagt, daß die
Stadt sich mit einer regen Literaturszene schmückt in ihren
Schriften, und daß 6000 Mark keine Summe sind. Haaser soll
Mutz anrufen, ich schüttelte dem Oberbürgermeister zweimal
die Hand. Dieter Schormann saß auf einem Sofa und redete alle
halbe Stunde in ein Mikrofon. Viele Menschen versammelten sich um
ihn. Er erzählte von bedeutenden Schriftstellern und ihren
Lesungen bei ihm. Demnach sind die Literaten ein Haufen von eingebildeten,
geldgierigen, kränkelnden und versoffenen Spinnern. Ich bin
auch Autor, mein Vater begegnete mir auf dem Stadtfest und nannte
mich einen Existentialisten. Ich zeigte ihm einen Stinkefinger.
Ein anderer Betrunkener redete einsam an seinem Tisch über
die Zustände in Gießen, die Einsamkeit und Jesus, ich
liege mit meiner Einschätzung im Drama also richtig.
1. 7. - Uni-HG, Seminarraum im 3. OG, 20.15 Uhr Vortrag: "Brauchen
Dichter Drogen?" Interessante Frage! Meiner Ansicht nach Nikotin,
Alkohol, Koffein in dieser Reihenfolge. Alexander Kupfer, Geisteswissenschaftler,
über Drogen, Kreativität und Literatur. Die konsumierenden
Dichter verfolgen das Ziel, Inhalte des Unbewußten zugänglich
zu machen, etwa "älteste Erinnerungen". Angeblich
steht die Frage, ob Schiller und Goethe mal zusammen gekifft haben,
noch unbeantwortet im Raum. Es wird angeblich angenommen, daß
späte Heine-Gedichte unter Einfluß von Opiaten entstanden
sind. Kupfer schloß aus seinen Ausführungen, daß
"der Rausch" nur die gewohnte, individuelle Wahrnehmung
kanalisiert. Ich schloß aus seiner Beschreibung eines Cannabis-Rausches,
daß er noch nie gekifft hat. Die von ihm vorgetragene literarische
Beschreibung eines Meskalin-Rausches klang wie einer der Momente,
in denen ich wieder mal schneller denke als schreibe. Der Vortragende
gab an, nach der Lektüre von etwa zehn Seiten eines solchen
Textes bereits berauscht gewesen zu sein. Ich selbst glaube, daß
man sich auch einfach total betrinken kann, bevor man etwas schreibt,
um dann festzustellen, daß dabei nur Müll herauskommt.
Herr Kupfer kennt Burroughs, zitierte aber dessen wichtigen Satz
zum Thema nicht: <<Die Wirklichkeit ist nur ein Abtastmuster,
das sich mit verändertem Stoffwechsel anders zeigt.>>
Ich bezweifle es doch stark, daß, wie es der Vortragende ausdrückte,
Rauschbotschaften pure Poesie sind. Das Publikum verlangte am Ende
vor allem, daß das alles viel besser reglementiert werden
muß mit den Drogen. (Mist, meine Kippen sind alle!) Ich traf
im Domizil Schätzlein, er äußerte eine wichtige
Kritik zum Umgang mit religiösen Themen in Texten. Bezog sich
auf das Drama, rettete meinen Roman. Wolf Schreiber will mir seinen
alten PC leihen.
4. 7. - Begegnung bedeutender Schriftsteller, die noch nicht berühmt
sind und aus der Gegend zwischen Shanghai und Fulda kommen, in Lauterbach,
Südbahnhof. Es ist fast unmöglich, zu Suhrkamp zu kommen.
Christoph Grobe war sogar einmal persönlich dort, um ein Manuskript
hinzubringen, und wurde nicht mal am Pförtner vorbeigelassen.
Klaus Frahm hat einen Stil, der meinem sehr ähnlich ist, er
schreibt extrem gut. In Dortmund würde man eine kleine Reihe
mit Mittelhessenkrimis herausbringen, wenn Frahm noch drei oder
vier andere Autoren auftreibt. Er hat eine Kurzgeschichte bei Ullstein
untergebracht. Der Verlag Christoph Grobe sucht Autoren: Schillerstraße
14, 35452 Heuchelheim. In Fulda gibt es eine Lyrikerin, die schreibt
erotisch aus Frauensicht so gut, daß ich sie für Byzanz
Total dem Schätzlein ans Herz legte: Heike Böcke! Es ist
Blödsinn, einen Literaturagenten zu haben, weil es nur Geld
kostet, keine konstruktive Kritik dabei herüberkommt und nicht
besser vermittelt wird, als würde man es selbst tun. Rolf Haaser
las ein Gedicht vor, das "Dichterrasse auf der Dachterrasse"
heißt, außerdem verteilte er seltsame Flugblätter,
die etwas mit seiner Lesung zu tun hatten. Marianne Bayer kommt
mit ihren Texten beim Publikum an, Heike Böcke hatte noch nie
so eine gute Überleitung. Anna Rind-Schad schreibt recht nette
humoristische Texte. "Schöne" Kurzgeschichten über
Alltag, überraschende Ereignisse, nicht zusammenkommen können.
Martin Krauss müßte sich dringend mehr Gewicht verleihen
und treibt die Literatur im Vogelsberg nach Kräften voran.
Das Haupthindernis für seine Bestrebungen dort ist, daß
sich gar keine Sponsoren finden, die Politik kein Geld übrig
hat und die Autoren selbst vernünftigerweise nichts zahlen
wollen für ihre Veröffentlichungen. Der Haufen von Schreibern
zwischen Gießen und Fulda hat beschlossen, Geld zusammenzulegen,
um einen Lektor zu einer Veranstaltung einzuladen, in deren Rahmen
dieser erklärt, was man bei den Verlagen so erwartet, und der
Texte von uns bewertet. An Kleinverleger kann man durch persönliches
Vorsprechen herankommen, nicht aber an große Verlage. Es ist
sinnlos, in Zeitschriften zu veröffentlichen, wurde behauptet,
da man zwischen Anzeigen untergehe und höchstens von sich selbst
gelesen werde. Doch was spielt das für eine Rolle in Anbetracht
der Tatsache, daß man ein Honorar erhält? Bis auf Heike
Böcke und mich scheinen alle Autoren auf diesem Treffen Wert
auf ein "elitäres Literaturpublikum" zu legen. Die
breite Masse wollen sie nicht erreichen, bei Frahm weiß ich
nicht. Das Publikum in Lauterbach nannte sich zwar "Kulturverein",
war aber im Vergleich zu Gießen ein völlig representativer
Bevölkerungsquerschnitt. Die Leute waren zwischen 28 und 60,
eher von der ruhigen Sorte und ein dankbares, aufmerksames Publikum.
Heike Böcke stieß mit ihren Gedichten bei allen Frauen
auf Anklang und bei allen Männern auf Ablehnung (bei mir nicht,
das liegt an den Frauen in meinem Roman, für die trage ich
schließlich Verantwortung). Heike arbeitet in einer Kneipe,
sie kennt das Leben. Sie machte auf mich zunächst einen Eindruck
wie Domenica Niehoff und setzte sich direkt zu Beginn der anderthalbstündigen
Runde (Erfahrungsaustausch) neben mich. Die Veranstaltung war liebevoll
organisiert (mühsam belegte Sandwiches, die man in zwei Minuten
verschlang) aber zu früh vorbei, weil in Lauterbach die Bürgersteige
hochgeklappt werden, wenn woanders der Abend noch gar nicht beginnt.
Angeblich soll man keine Lesung unter 500 Mark Gage machen: In Gießen?
Hahaha! Ich bekam mal 12 Mark Gage (bei 33 Mark Ausgaben).
6. 7. - Kurzprosa: "Der Raum" (Thriller über meinen
ehemaligen Nachbarn und seine Mutter).
7. 7. - Kurzprosa: "Made in Denmark" (Vollwaise sucht
Spuren der Eltern).
11. 7. - Kurzprosa: "Besuch aus Amerika" (Sophie, Pferdefotografin,
hatte Besuch). Ich beschäftige mich zur Zeit mit dem Urheberrecht.
Die Lage ist für mich als Autor gar nicht schlecht, ich muß
die Gesetze aber kennen, um nicht über den Tisch gezogen zu
werden.
12. 7. - Kurzprosa: "Der Weltraum" (Science Fiction, hochgradig
behämmert).
20. 7. - Kontaktanzeige beantwortet, ich sei Schriftsteller und
hätte furchtbar viele Freunde.
22. 7. - Nikola Herweg soll mich angeblich für den Anzeiger
interviewen, war nur ein Gerücht, das mir aus dem Umfeld der
freien Mitarbeiter zugetragen wurde. Ich bin im Gespräch! Kurzprosa:
"Kein Widerstand möglich" (über die Gedankenwelt
fünfzehnjähriger Jungs).
23. 7. - Gudrun hat behauptet, sie kenne einen Mann, der immer vom
Klo geholt werden mußte an der Arbeit, weil er dort Gedichte
schrieb. Später habe er eine Zeit ausgesetzt, gemalt, geschrieben
und dann wieder gearbeitet: <<Da war dann auch alles wieder
gut scheinbar.>> Das klingt nach LiteraturBüro, kennen
wir den Kerl? Im Domizil Gespräch mit Schätzlein über
Sexliteratur.
26. 7. - Die Frau aus der Kontaktanzeige ist äußerst
attraktiv, kurzweilig, seriös (steht mit beiden Beinen im Leben),
Italienerin, und sie liest gerne. Natürlich sind wir inzwischen
ziemlich oft ausgegangen. Zum Geburtstag hat sie sich meinen Roman
gewünscht. Claudia Peinzger braucht einen literarischen Text,
der bei der Vernissage einer Kunstausstellung gelesen wird und zur
Ausstellung paßt.
28. 7. - Kurzprosa: "Florian hat Bauchweh" (über
Schwester Claudia an der Arbeit; Claudia Peinzger ist Krankenschwester
und hat in ihrer Ausstellung mit Klischees über Ärzte,
Krankenhausinterieur etc. gespielt, mittlerweile studiert sie).
29. 7. - Nach dem Kneipenbesuch zu Harald Schätzlein eingeladen,
dort weitergetrunken. Über Literatur in Gießen und ähnliches
unterhalten, gegen 7 Uhr 30 morgens mit den drei ersten Byzanz Total-Ausgaben,
die mir noch fehlten, nach Hause geschwankt. Es wird eine neue Byzanz
geben, Harald und Jörg begreifen das Heft als Ego-Trip.
31. 7. - Kurzprosa: "Nummer 43" (über einen Besuch
bei Claudia Peinzger zum Kaffee).
1. 8. - Vernissage von Claudia Peinzger in Gießen, Music Attack
Bleichstraße. Lesung im Bekanntenkreis, die Kunstwelt ist
klein und exclusiv. Der Text war angemessen und geeignet, Claudia
hat er auch gefallen, vorher Arbeitsessen im Stehimbiß. Bier
bei der Lesung, klasse!
2. 8. - Am Roman weitergearbeitet. Das Kapitel mit dem Künstler
Meinhardt Schätzel wird entweder der Knackpunkt oder besonders
gut. Ich muß mich auf Schätzleins Rat verlassen, mich
als Gott zu begreifen, was die Welt in dem Buch betrifft.
4. 8. - Im Domizil mit Schätzlein über Relativsätze
in Texten unterhalten, er ist kein Freund von wörtlicher Rede
in Prosa. Der Geist gesprochener Sätze läßt sich
in der Literatur nicht wiedergeben, Jörg Brixel beherrscht
das aber sehr gut. Jörg leide aber unter seiner Biographie,
deshalb diese Bescheidenheit. Diese Italienerin mag meine Texte!
5. 8. - Brief von Suhrkamp: <<Sehr geehrter Herr Michnacs,
haben Sie Dank für Ihren Brief vom 3. Mai 1998. Es tut uns
leid, Sie bitten zu müssen, von der Übersendung Ihrer
Manuskripte abzusehen. Die Verpflichtungen des Verlages sind so
zahlreich, daß wir Neues zur Zeit nicht planen möchten.>>
Die Mutter von Tobias Bach schreibt in der Wetterau für Lokalzeitungen
und kann da, sagt er, für mich in einer Buchhandlung eine Lesung
organisieren. Er fragt sie mal.
9. 8. - Die Italienerin hat mir alle Briefe, die sie auf ihre Annonce
hin bekam, geschenkt. Mein Gott, manche meiner Konkurrenten sind
naiv wie Kinder, einer hält sich selbst für bescheuert
und hat das mit Tipp-ex wieder ausgelöscht. Ich könnte
daraus ein Drama schreiben. "Das Mädchen-Stück"
(Dramenentwurf bis 3. Szene).
10. 8. - Entwurfsfassung erster Akt (19 Seiten Manuskript) beendet,
zur Seite gelegt bis zur nächsten Eingebung in unbestimmter
Zeit.
14. 8. - Gedicht im Notizbuch: "Kleinlinden" - <<Panzer,
Panzer/Apokalypse der Landser/Kopfschmerz/liebe Not, mein Herz!/Auf
dieser Diskette/das Ende des Jahrhunderts/das ich gern/noch einmal
wiederhätte.>> (Das Fazit aus der Recherchetätigkeit
zu Beginn des Jahres, nachdem der Stoff in meinem Roman verarbeitet
ist.)
17. 8. - Im August für den Roman eine Weihnachtsfeier erfunden,
das macht mich ganz verwirrt. In mehreren Texten versuche ich, den
Winter zu beschreiben, draußen eine Bullenhitze.
20. 8. - Mit der Italienerin abends den PC bei Wolf Schreiber abgeholt,
alt aber okay. Mein erster Computer. Vor 7 oder 8 Jahren habe ich
sogar mal programmieren gelernt.
22. 8. - Der PC läuft jetzt. Die Grafikkarte flog lose im Gehäuse
herum, die Mouse ist im Arsch, Windows hat eine Macke, MS-DOS erkennt
die europäische Tastatur nicht, der Monitor spinnt.
23. 8. - Der PC ist eine üble Krücke. WORD 6.0 ist abgestürzt,
ich mußte Windows neu laden, jetzt ist WORD komplett weg.
Hoffentlich hat es noch jemand. Jetzt schreibe ich drei Roman-Fassungen
parallel, Manuskript, Typoskript, am Computer. Prosa ist Arbeit
ohne Ende.
31. 8. - Bibel gekauft, weil im Roman ein religiöser Mensch
(M. Schätzel) vorkommt. Mit dem Lesen angefangen, zuletzt habe
ich sie mit 13 gelesen. Heute parallel die Odyssee, sonst wird man
ganz blöd, das Alte Testament mit seinen Stammbäumen und
Reiseroutenbeschreibungen ist stinklangweilig. GOTT muß schon
ein komischer Kauz sein: <<Woher wißt ihr, daß
ihr nackt seid?>> Seine Untergebenen hacken aufeinander herum,
bis die Schwerter brechen.
8. 9. - Ich habe Post von Gerald Zschorsch! Neulich schrieb ich
ihm, wie gut ich "Der Duft der anderen Haut" finde: <<Lieber
Florian Michnacs, vielen Dank für Ihren Brief; er hat mich
erfreut und berührt. Die Gedichte von DER DUFT DER ANDEREN
HAUT entstanden tatsächlich in Gießen, bzw. in Watzenborn/Steinberg,
wo ich in meiner Gießener Zeit (1975 - 80) gewohnt habe. Es
ist das Haus (neben einer alten, ausgebrannten Ziegelei), welches
allein und einsam auf der rechten Seite der Landstraße von
Watzenborn nach Grüningen steht. Es wird heute von fremden
Menschen bewohnt. Sollten Sie einmal dort vorbeikommen, so grüßen
Sie mir das Anwesen ganz herzlich. Und so grüße ich Sie
auch aus Frankfurt am Main. Ihr Zschorsch.>> Moral: Verlage
sind feindlich, Dichter sind freundlich.
9. 9. - Erste realistische Gedanken über ein Romanende.
13. 9. - Ich lebe nicht mehr in meinem Roman, mir fällt draußen
nichts mehr auf. Sternack ist sein eigener Mensch geworden. Steuernagel
erscheint mir anders als damals beim Verfassen der Novelle, Tina
Blum ist überhaupt ganz bedeutungslos, sie ist der Geschichte
entwachsen. Steuernagel macht sich aus dem Staub, und Sternack bleibt
in alles verstrickt. Wenn ich jetzt die Ebene hinter dem Bahndamm
bei Kleinlinden beträte, würde ich verblüfft Fennek
und das weiße Haus vermissen.
17. 9. - Die erste der Ideen, aus denen später der Romantitel
wird: <<Das Knochenhaus spricht tatsächlich auf der Vernissage,
Steuernagel drückt ihm das Mikro in die Hand. Von solchen Menschen
wird man ganz blöd und verzweifelt, siehe meine Gedanken zu
Kunstzerstörern.>>
19. 9. - Gestern den Stoff für den sechsten Teil (des Romans)
gesichtet und erfasst. Ich habe eine Liste wie für die Novelle
damals, wahrscheinlich sind die beiden letzten Teile des Romans
am stärksten. Ich kann es mir leisten, über Sex zu schreiben.
Die Charaktere sind so stark, daß sie ihn einfach haben können,
ohne fragwürdig zu werden. (Mir waren vier oder fünf Tage
die Hände gebunden, weil ich wissen mußte, wie man einen
bestimmten Lkw-Typen bezeichnet, den zu Beginn des 6. Teils Steuernagel
im Rahmen seiner Arbeit fährt. Ungefähr zehn Telefonate
mit dem Hersteller, dessen Angestellte den Suchbegriff nicht kannte,
einem Nutzfahrzeugvermieter, der wußte, was ich meine aber
den Begriff nicht kannte, dem TÜV, der mir den falschen Begriff
nannte, bis ich einen sehr grobschlächtigen Handwerker in einer
Lkw-Werkstatt fand, der es wußte. Außerdem wälzte
ich in der Stadtbibliothek total seltsame Liebhaberbücher über
Lkw- und Traktorentypen sowie Fahrzeugtypen der Bundeswehr, Lehrbücher
für Auszubildende in Kfz-Berufen, doch selbst in einem Fachbuch
über Spezial-Lkws war er nicht drin: Der Hublader.)
24. 9. - Ich schrieb die ersten dreißig Seiten des letzten
Romanteils (Manuskript) an einem Tag, meine größte Einzelleistung
bisher bei diesem Text.
28. 9. - Interessant: Wenn ich den Gestalten aus meinem Roman in
der Realität begegne, gehen sie mir inzwischen auf die Nerven,
etwa Erik. Er sagt, er interessiert sich nicht mehr für lange
Prosa, denn er kenne einen "Journalisten", der sich in
400 Worten ausdrücke. Außerdem kennt er einen jungen
Holländer, der irgendein "Gedicht" (Erik: <<Ich
glaube, es ist eins.>>) geschrieben hat. Mache ich mal wieder
eine Lesung? Bald ist mein Roman fertig.
30. 9. - Ich schreibe ein Romanende und verliere die Lust an meinem
eigenen Stoff. Das Irritiert, weil keine "großen"
Ideen mehr kommen, weil der Stoff keine mehr nötig hat. Wie
einem einfachen Bücherleser fehlt mir der Gesamtüberblick
über die Geschichte. Was ich geschrieben habe entfällt
mir, es ist überflüssig geworden. Nur Dinge, die gespeichert
sind, können überhaupt gelöscht werden (Lyotard).
Ständig verwirren mich Déjà-vu-Effekte: <<Habe
ich das nicht schon reingeschrieben?>> Einen Roman überhaupt
zu beenden, ist ein Riesenproblem. Kritiker müssen keine Romane
verfassen, deshalb können sie sie ohne Hemmungen verreißen.
Wenn sie doch welche schreiben, sind sie meistens grottenschlecht.
2. 10. - Im Manuskript muß die Prosa noch nicht perfekt sein.
Ich muß erstmal meine Geschichte erzählen, die Klinge
der Sprache schärfe ich dann. Am schwierigsten wird es für
mich sein, die Geschichte von den Anteilen zu befreien, die sie
nicht nötig hat, denn erzählen will ich alles. Erik hat
Unrecht, man kann sich nicht in 400 Worten ausdrücken. Ich
kann es in 4: <<Sydney ist in Texas.>>, aber ich würde
es gerne in 400000 können.
3. 10. - Tag der Deutschen Einheit. Gerald Zschorsch ist der einzige
mir bekannte Gießener Autor, der es geschafft hat, in seinen
Texten eine Verbindung zwischen Gießen - Notaufnahmelager
- DDR herzustellen. In seinem ersten Buch: "Glaubt bloß
nicht, daß ich traurig bin" bei Suhrkamp. Ich habe den
Romantitel gefunden: "Der Angriff der Sonnenstrahlmiliz auf
das Knochenhaus", alles andere wäre mir zu langweilig.
7. 10. - Harald Schätzlein schneite herein, wollte eine Wohnung
im Nachbarhaus besichtigen, aber da war gerade niemand daheim. Dann
setzte er sich mal an meinen PC und sah sich das WORD-Problem an,
er fand heraus, daß es auch in WRITE möglich ist, Word-Dateien
zu schaffen. Gut, sehr gut, ich kann loslegen. Wäre ein angenehmer
Nachbar, ich helfe dann gerne beim Umzug. Ich habe ihm mal den Zschorsch-Brief
gezeigt, er lächelte milde.
8. 10. - 17 Uhr 35, der Roman (Manuskript) ist fertig. Schätzlein
hat es auf dem Anrufbeantworter, in anderthalb bis zwei Monaten
will ich eine Lesung. Ich ging ins Hard Rock-Café, um mich
zu betrinken. Da war aber gar nichts los. Dieser Antal war kurz
da, er hat sein vier Personen-Drama nicht geschrieben: <<Keine
Zeit!>> So wird aus dem nichts. Dann im Domizil, ich lese
dort am 29. November um 21 Uhr Auszüge aus meinem Roman. Jörg
Brixel legt Platten auf.
9. 10. - Nur einen Tag nach dem Romanabschluß läuft das
Leben in geregelte Bahnen, meinen Schreibtisch räumte ich schon
gestern auf. Hier liegt kein Berg von Notizen mehr herum. Gießen
ist jetzt die Literaturstadt an der Lahn, es gibt einen Roman über
Gießen, von Florian Michnacs.
10. 10. - Ab heute wieder Arbeit am Typoskript, das bedeutet eine
komplette Neufassung des Romans.
11. 10. - Mein Alptraum ist, daß sich irgendwelche Amateure
meinen Roman greifen, ihn für genial erklären und aus
Versehen vernichten, bevor Brixel und Schätzlein ihn gelesen
haben und mir sagten, wo die Schwachpunkte liegen. Es gibt solche
Leute, meistens Studenten, Zitat: <<Wer soll denn sowas lesen?
Du machst den Eindruck, als bist du noch auf der Suche. Warum mußt
du denn unbedingt Schriftsteller sein? Das ist ein Hobby! Du mußt
mal ein Jahr lang nur Ficken, Saufen, Spritzen - nichts anderes,
dann kannst du erst schreiben.>> Danke.
13. 10. - Mein Mitbewohner meint, ich soll nicht tiefstapeln, also
meinen Roman nicht jemandem in Gießen zeigen, sondern "jemandem,
der was kann". Hier sehen ihn trotzdem Schätzlein und
Brixel.
15. 10. - Meine Schreibmaschine hat ihren Dienst aufgegeben, nach
700 Seiten in anderthalb Jahren. Telefonisch für morgen eine
neue im Bürogeschäft organisiert.
19. 10. - Andrea fragte im Haus, warum man mich nicht mehr so oft
sieht. Ich erklärte das mit dem Roman und daß ich dauernd
tippe. Das hat man davon, wenn man sich entschließt, ein Schriftsteller
zu sein.
20. 10. - Typoskript fertig, ich kann ab morgen korrekturlesen.
23. 10. - Heute ermittelt: Die meisten bekannten Autoren haben gar
keinen Computer, wie unprofessionell. Sie schreiben mit einem Federhalter
oder einer mechanischen Schreibmaschine und binden ihre Manuskripte
mit Bindfäden selbst. Außerdem liegt in ihren Arbeitsräumen
ein ungeordneter Berg von Papier, der nicht angestoßen werden
darf, was nämlich eine Lawine auslösen würde. Neuer
Romananfang an der Schreibmaschine, ich entwickelte den Plot seit
Februar, aber dieser Text geht Gießen noch nichts an. Mein
fertiger Roman findet bei meinen Freunden Interesse, Außenstehende
machen nur kleine, ungläubige Scherze. Beginn der Arbeit an
der dritten und endgültigen Fassung am PC.
25. 10. - Lesung von Michael Buselmeier, hat mir gefallen. Aber
wie immer auf Lesungen konnte ich mich gar nicht auf den Vortrag
konzentrieren, sondern dachte über alles mögliche in Ruhe
nach. Aber es bleibt halt doch immer was hängen. Er hat auch
einen Band mit Gedichten über den Sport geschrieben, in dem
der VfB Gießen vorkommt. Haaser ist gespannt auf meinen Roman,
er weiß noch gar nicht, daß er darin vorkommt, hähä!
Er, Anna Ananieva und Klaus Frahm wollen zu meiner Lesung kommen,
mit Paul Hess hatte ich neulich schon telefoniert.
27. 10. - Beteiligung an einem Wettbewerb der PreussenElektra. Der
Strom soll einen Namen bekommen, ich erfand einen: Der bleibt aber
geheim. Gewinn: BMW Z3 Roadster, wieviel ist so eine Karre wert?
Mit dem Geld könnte ich zwei Romane schreiben. Mit den Fick-Geschichten
in meinem fertigen Roman kann ich auf einen Skandalerfolg hoffen,
die Erneuerung der Literatur ist das noch nicht. Aber das hatte
ich auch nicht vor. Ich wollte nur Selbstverwirklichung und Abenteuer.
28. 10. - Ich weiß, wie ich das Drama (Jesus = Müll)
seriös machen kann! Ich baue das pathetische Ende um, da schiebe
ich mein altes "Kampfstern Galaktika" ein. Erst nach dem
Roman am Computer. Zwei Sachen gleichzeitig, das geht nicht, und
das ist zum Kotzen, die Idee ist nämlich saugeil! Es kostete
mich etwa 20000 Mark zu wohnen, zu essen, bekleidet zu sein, Kurzweil
zu haben, während ich den Roman schrieb. Ich habe alles selbst
bezahlt, anders wäre es nicht gegangen.
31. 10. - Ach, ich lese zur Abwechslung mal ein Buch: H. G. Wells
- "The War of the Worlds" (in einer englischen Fassung,
ich spreche fließend Englisch). Wer weiß, was vor 60
Jahren in den USA aufgrund einer Radiosendung geschah?
1. 11. - Heute Vormittag "War of the Worlds" fertiggelesen,
es ist so ein Buch, das mir sagt, was ich an der Literatur so liebe.
Es hat mich total gepackt, ich las es fiebernd, wie ich sonst als
Kind las.
2. 11. - Ich habe heute mit ein paar Zigarettenpausen etwa fünf
Stunden am Stück am PC gesessen, das ist das Limit. Da ich
den Roman zugleich mit dem Abtippen auch nochmal umschreibe, kann
ich höchstens zehn der Schreibmaschinenseiten pro Tag bewältigen.
Ich hoffe auf einen Skandalerfolg, weil es so oft um Sex geht, aber
literarisch ist der Roman dennoch. Ich habe einen kleinen Ficker
erfunden, über den sich die Frauen echauffieren können
und mit dem sich die Männer identifizieren können, damit
mir alle ihr Geld geben.
3. 11. - Brief von PreussenElektra, mein Namensvorschlag für
den Strom ist scheinbar in der engeren Wahl, die endgültige
Entscheidung wird Mitte Dezember bekanntgegeben. Das wäre ja
der Job meines Lebens! Für drei, vier Minuten Denkarbeit den
Gegenwert eines BMW.
5. 11. - Allein der Wille bzw. Vorsatz, ein Schriftsteller zu sein,
reicht nicht aus, denn die Arbeit "Schreiben" verlangt
eine ganze Menge Energie, Disziplin und Fleiß. All das kommt
nicht von ungefähr, man müßte mal ermitteln, wieviele
eingebildete Schriftsteller an ihrer eigenen Faulheit scheitern.
Schreiben taugt nicht zum Hobby. Anruf von Anna Ananieva, bis Montag
oder Dienstag eine Art Erlebnisbericht für die Jahresausgabe
der Shanghai: "Ein Schriftsteller in Gießen" oder
so. Ja, kein Problem.
Anmerkung: Dieser Text ist stark gekürzt.
|