Jahresausgabe 1999:

Lyrik

von Friedrich G. Paff
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Der Tod der Kirschblüten im April

1.
Niemand versteht
die Sprache der Kirschblüten
keine Worte mehr
für Unglück, Trauer und Tod
der Blüten Sprache
die weiß sich verschenken dem Wind
erzittern kurz und nicht reifen
Flug nur und Fall
ein weißes Beben über Abgrund, Stille
2.
Die Welt du hast nie in ihr gelebt
sie ist irgendwie draußen
du nie in ihr
die Schatten der Welt
sie berühren dich nicht

3.
Ein Ast voller Kirschblüten
ein Ast leer und kahl
du hast abgestreift alle Blüten
mit dem Messer in die Rinde geschnitzt :

"Frühling"

4.
Frühling ist immer
es gibt sonst nichts
der Rest nur Zerfall
laß sie beschwören den Herbst
oder die Fäulnis des Sommers
eine einzige weiße Kirschblüte
in ihr sterben alle Winter

5.
Morgens vielleicht
zwischen Traum und Erwachen
ist die Welt
noch nicht zerrissen

6.
Die Welt ist eine Erfindung von dir
nicht nur Wahlkampfplakat
Arbeitslosenstatistik, Mediengeseich
ein Produkt von Wahn und Angst
die Welt
und doch in deine Träume hinein
sticht sie ihre rostigen Nägel

7.
Kirschblüten sie fallen
und wiegen sich im Wind
wieviel wiegen sie
diese fast schwerelosen Vögel des Frühlings
die tanzen ins Vergessen hinein ?

8.
Sie haben nicht die kalten Ränder des Lorbeers
glatt und gelackt Tod doch nur
sie sind der Augenblick, ein Nu
das nie vergeht

9.
Im Kirschblütenregen
oh Überfluß der Natur
wo ist da Tod, wo Leben
ein alles zugleich
ein Beben soeben

10.
Keine Zeit für Reife und für Eiszeit
im Frühling sterben im Erwachen

11.
Ich laufe hinter mir her
und vor mir weg
soviel am Hals
und niemand
hört mein Lachen

12.
In meinen Augen tanzen sie
weiße Kirschblüten
massenhaft, einsam und wild

13.
Ohne Grab blieben sie
weiße Asche des Frühlings
ich streue sie auf
die Urnen der Nacht
( in Bacharach und Rheindiebach )
was sonst
kann man den Vergessenen geben
Kirschblütenzweige
und kein Zement
auf unregistrierte Gräber
Weg schon geworden

14.
o wie bin ich wehrlos
wehrlos gegenüber allen
in meiner Hand nur
abgefallene weiße Blüten
und möchte doch
keine andere Macht
je haben

15.
Kirschblütenzeit
Engel und Teufel
küssen sich
eine Zunge
tief in deiner Haut
spricht Worte
aus Engelsflügeln
und aus weißer Stille

16.
Ich kann mich nicht legitimieren.
Kirschblüten haben keinen Paß.

Mein Atem ist unversteuert
noch.

Ich habe den Frühling nicht abonniert.
Er ist einfach da.

17.
Lerne die Sprache
der fallenden Kirschblüten
sonst wird alles
wie es ist
Welt nur
ohne Gegengift
ohne den frühen Tod
Atem
mitten im Erwachen