Jahresausgabe 1999:

document x-beliebig
(Eine hirnlose Polemik ohne besonderen Anlaß)

von Uwe Weichsel


Als der tote Ernst mit dem tierischen Gassi ging, traf er die Kunst. Die bekam Angst und fürchtete, der tierische Ernst könne sie beißen. Da erschlug ihr zuliebe der tote Ernst den tierischen. Mit dem Blut malte er die Welt schwarzweiß. Ein monumentales Selbstporträt. Die Kunst erschrak ob der Gewalttat; sie hatte das nicht gewollt. Fortan erschien ihr alles trist, deprimierend und schauerlich. Ein Lachen blieb ihr nicht einmal mehr im Halse stecken, denn so weit durfte es gar nicht mehr kommen. Von der spitzen Zunge ganz zu schweigen.
Seitdem ist die Kunst eine todernste Sache. Der Genuß ist jetzt ein Intellektueller. Er macht ein ernstes Gesicht, weil er nichts zu sagen hat. Zunge und Hals sind arbeitslos, denn nichts kommt in den Bauch und schon gar nichts aus ihm heraus. Das wäre ja auch unappetitlich. Der Kopf will alles bestimmen und hält den Restkörper für einen lästigen Appendix. Selbst die Ohren hängen nur nutzlos und taub an ihm herum, wie eine geschmacklose Verzierung. Die Augen verkriechen sich in ihre finsteren Höhlen und behaupten, so sei es eben - das farblose Leben. Nur die Nase atmet noch den geruchlosen Geist von heißer Luft. Mit diesem kargen Sauerstoff kann das erhabene Hirn halluzinierend über den Dingen schweben und sich dabei sogar sinnlich finden. Freilich müßte es da oben bloß ein bißchen tasten können, um den Sargdeckel zu spüren. Aber es fühlt ja nicht einmal, wie eng es in diesen Lüften ist, wo Untote Mode machen. Als Imitator des Leidens betreibt es Aurarecycling und springt auf einen überfüllten Zug, der zur guten Kritik führen soll. Das am nicht vorhandenen Leid leidende Hirn malt wie alle anderen auch, und der tote Ernst steht Modell. Es schreibt von seinem Nachbarn ab, wie alle anderen Hirne auch, und findet das originell. Für die Avantgarde der Zombies ist Lachen nichts Innovatives, ja, es ist beinahe bürgerlich, igittigitt! Wer keine schlechte Laune hat oder wenigstens ein vorzeigbares psychisches Problem, kann kein Künstler sein. Lachen ist einfach uncool und peinlich - wie ein Furz im Fahrstuhl. Aus letzterem ließe sich immerhin noch eine Performance machen.
Aber wartet es nur ab, euch wird der Ernst schon noch vergehen. Spätestens, wenn er aus der Mode ist. Dann werde ich mich zu Tode amüsieren. Glaubt bloß nicht, ich würde mich lächerlich machen. Ich meine es ernst.