Jahresausgabe 1999:
Ein Fisch in der Wüste
von Rolf Haaser
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Abdurahman Aden: Requiem. Gedichte.
BONsaiTypART, Berlin 1998, 67 S.
Der Wüstenwind entspringt, wie man weiß, aus den Hörnern
der Mondsichel. Dort nimmt er die Tropfen des Taus in sich auf,
die er auf seinem Flug über die Erde in Sandkörner verwandelt.
Nach und nach verstreut er sie über das Land.
Nachts, wenn das Mondlicht auf die Sandkörner fällt, dann
kann es vorkommen, dass sie wieder ihre ursprüngliche Gestalt
als Tautropfen annehmen.
Deshalb achten wir ein Sandkorn nicht weniger gering als einen Wassertropfen,
wie wir ja auch die Wüste ebenso bewundern wie das Meer.
Und wenn man genau hinhört, dann kann man im Wüstenwind
das Rauschen des Meeres ebenso vernehmen wie das Brausen der Dünen.
Abdurahman Aden ist nicht nur jemand, der genau hinhören kann,
sondern der durch seine Lyrik auch anderen aufscheinen lassen kann,
wie sich unmerklich das eine in das andere verwandelt und, zumindest
in der Phantasie, wieder zurückverwandeln lässt. Nur wer
selber ein Fisch in der Wüste ist, kann Kunde geben von der
Wasserhaltigkeit des Sandes und der Trockenheit Tropfens.
Abdurahman Aden, - ein Fisch in der Wüste, - ist somalischer
Schriftsteller in Deutschland. Seine afrikanischen Wurzeln, die
Fährnisse des Landes, aus dem er stammt, die politischen Verhältnisse
spielen eine große, ja, entscheidende Rolle in seinen Texten
wie auch in seinem beruflichen Leben. Seine Lyrik dient der Vermittlung
somalischer und letztlich afrikanischer Kultur und Mentalität,
insofern sie sich nämlich zum Sprachrohr der kleinen Leute
und einfachen Menschen macht. Man könnte sagen, sie hat eine
Art inoffiziellen Botschafterstatus.
Bei dieser politischen Lyrik (im besten Sinne) bleibt Abdurahman
Aden aber nicht stehen. Immer wieder entzieht sie sich ihrer repräsentativen
Geschäftsträgerschaft und thematisiert ganz individuelle
Zweifel, Selbstzweifel und Ängste. Gerade dieses Offenlegen
der Selbstschwankungen und eigenen Anfeindbarkeiten macht - in Verbindung
mit jenem selbstbewussten Eintreten für das eigene Land - das
eigentümliche Temperament und die charakteristische Menschlichkeit
der lyrischen Arbeiten Abdurahman Adens aus.
Auf der Gratwanderung zwischen politischer Parteinahme und Äußerung
subjektiver Befindlichkeit hat Aden eine Formen- und Bildersprache
gefunden, die nicht nur eine Bereicherung der Literatur Somalias
darstellt, sondern auch der deutschen Literatursprache eine Facette
hinzufügt, die wahrzunehmen und in sich aufzunehmen sich lohnt.
Insbesondere betrachte ich es persönlich als Privileg und
für die Gießener Literaturszene, für die ich hier
sprechen darf, als einen außerordentlichen Glücksfall,
dass Abdurahman Aden bedingt durch seinen derzeitigen beruflichen
Aufenthalt in Gießen vor ein paar Jahren zu uns gestoßen
ist und uns an seiner Sprachkraft wie an seinem Bilderreichtum in
besonderer Weise teilhaben lässt. Ich bin überzeugt, dass
Sie, ebenso wie es mir erging, überrascht sein werden darüber,
was Aden unserer Sprache abzugewinnen in der Lage ist, was hier
in Fluss gesetzt ist aus der Mitgift der Tradition des Herkunftslandes
und der ständig beschleunigten Veränderungen der gegenwärtigen
Moderne.
"Ornament der Erinnerung" heisst eines der zentralen
Gedichte Adens, und in der Tat sind es lyrische Arabesken aus Erinnerung
gespeister Phantasie, genauer aus der Vermischung von Phantasie
und persönlich Erlebtem, die den eigentlichen Reiz dieser Lyrik
ausmachen. Selten - leider aber wohl zwangsläufig, aufgrund
der derzeitigen Verhältnisse in seinem Land - selten also eine
Lyrik voller Farbigkeit und heiterem Treiben, fast durchweg gepaart
mit dem "bluesigen" Unterton eines der Entfremdung ausgesetzten
lyrischen Ich; das sich aber zu keiner Zeit in larmoyanter Selbstbemitleidung
verliert.
Dabei ist der Formenreichtum ausgeprägt: Einmal begegnen wir
einer eher umrisshaften, fast lapidaren Zeichnung von geradezu minimalistischer
Sparsamkeit und Prägnanz, so als wolle der Autor nur einzelne
Worte aufrufen, um sie dann dazu anzuhalten, endlich selbst den
Mund aufzutun und für sich selbst zu sprechen; ein andermal
rollt ein fast eruptiver, heftiger Wortfluss voller Leidenschaft
und nahezu agoniehaft als Lavastrom über uns hinweg; ein drittes
mal finden wir ein sehr lyrisch gestimmtes lyrisches Ich ganz in
sich gekehrt bei sich selbst, letzteres allerdings gehört zu
den Ausnahmen in den Gedichten Abdurahman Adens.
Eine durchgängige Doppelschichtigkeit der Textur ist das Markenzeichen
dieser Gedichte: das Hin-und-Herwechseln zwischen Geräusch
und Stille, zwischen Nähe und Ferne, zwischen Geborgenheit
und Deplaziertheit, zwischen Geburt und Tod, zwischen Ich und Land,
zwischen Poesie und Parteinahme. Wir haben es hier mit einer Lyrik
des Zwiespalts zu tun, mit der Sprache eines Fisches in der Wüste.
Diese Doppelhaltigkeit und Doppelhaftigkeit ist von einer enormen
Suggestivität, weil man spürt, in den Zeilen wie zwischen
den Zeilen, dass sie auf authentischer Wahrnehmung und auf einem
echten Anliegen beruht.
Wer jemals Zweifel gehegt haben sollte an der geistigen Bereicherung
der eigenen Kultur durch den Zuzug von Exilanten, der möge
nur dieses kleine Bändchen erlesener Gedichte aus der Feder
Abdurahman Adens zur Hand nehmen und sich eines besseren belehren
lassen.
Sie sollten sich diese Gedichte nicht unbedingt aus einem wie auch
immer gearteten Interesse an Afrika oder Somalia anhören, jedenfalls
nicht ausschließlich, sondern aus einem echten und richtig
verstandenen Eigeninteresse heraus. Nur so finden diese Gedichte
wirklich den Weg dorthin, wo sie hingehören.
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