Jahreskreis des Esels - Literarisches Online-Tagebuch
2001
von Rolf
Haaser -->Autorenlinks
Januar 2001, Neujahr
Ich beginne mit einer dreifachen Verneigung vor niemand geringerem
als dem Esel.
Vielgestaltigkeit und Wandlungsfähigkeit sind seine hervorragendsten
Eigenschaften.
Auch seine ausgeprägte Fähigkeit zum überraschenden
Erscheinen an den unterschiedlichsten räumlichen und zeitlichen
Schnittstellen der menschlichen Existenz prädestiniert ihn
für unsere besondere Beachtung.
Dabei denke ich nicht zuletzt an sein zyklisches Auftreten an bestimmten
Stellen innerhalb des Jahreskreises. Sein Bild ist den längsten
Nächten des Jahres ebenso eingeschrieben wie den kürzesten.
Mittwinter- und Mittsommernacht sind seine vornehmsten Festnächte.
Man wird sehen, wie es sich mit den Tag-und-Nachtgleichen und anderen
markanten Tagen des Jahres verhält. Aber wie steht es mit dem
heutigen, kalendarischen Jahresbeginn?
Erste Verneigung vor dem Esel:
Der Conductus des Esels im mittelalterlichen Mysterienspiel Ludus
Danielis.
Allez, allez! Macht schnell, wir verpassen die
berüchtigte Prosa des Esels, die sicher bereits
in vollem Gange ist!
Mächtiges Geläute der Kathedraleglocken hebt an. Wir biegen
in die Rue St. Pierre ein und eilen, ein wenig außer Atem,
auf die hoch vor uns aufragende Kathedrale zu. Für einen Augenblick
schälen wir uns aus dem altertümlichen Straßengewirr
der schlecht gebauten Stadt heraus und steigen die Stufen der großartigen,
aber unvollendeten gothischen Kathedrale hinauf.
Die dreizehn Innenkappellen sind jede auf andere Art geschmückt
und mit zahllosen Kerzen hell erleuchtet. Der gesamte Innenraum
ist mit reich ornamentierten Hautelisseteppichen und Gobelintapeten
ausgekleidet. Inmitten dieses bunten Rahmens spielen sich tumultuarische
Szenen ab.
Mehrere Subdiakone wiegen in einer seltsam anmutenden Prozession
die Heiligen Messgefässe der Kathedrale mit weit über
ihre Köpfe aufgereckten Armen, während eine barbusige
Akrobatin, auf dem Rücken eines Esels tanzend, ein wagenradgroßes
Tamburin über ihrem Kopf balanciert. Dieses dient als Unterlage
für den Messkelch und für Monstranz, die mit dem blutigen
Stück einer Eselszunge statt einer geweihten Hostie bestückt
ist. Die liturgischen Geräte beginnen jedesmal bedrohlich auf
der Membran zu tänzeln, wenn die Akrobatin ihr Tamburin mit
einem barschen Schlag ihres Handballens zum Vibrieren bringt. Ihr
Gefolge besteht aus einer Meute von verzückten Alumnen des
theologischen Seminars und hilarisierten Studenten aus der Klosterschule
von Beauvais.
Strophenförmige Gesänge und lebhafte Tanzrhythmen begleiten
den Conductus. Der klare Rhythmus hält die mehrstimmigen Improvisationen
verschiedener Einzelsänger zusammen.
Auf der unteren der beiden Galerien der Kathedrale haben sich die
Mitglieder der literarischen Gesellschaft von Beauvais versammelt.
Ich steige zu ihnen hinauf und werde mit freudigem Hallo empfangen.
Vor dem Hochaltar sitzt der König Belsazar mit seinem Hofstaat
und tafelt. Edelleute, Satrapen, neidische Berater, Sterndeuter
und Weissager, Königsflüsterer und närrische Traumdeuter
umschwärmen ihn. Schlagen von Trommeln, Streichen von Saiteninstrumenten,
Händeklatschen, Tanzen, Knallen von Knobelbechern auf die blankpolierte
Granitplatte des Hochaltars, frevelndes Gelächter, dazu das
nach wie vor anhaltende wilde Geläute der Kathedraleglocken
steigern sich zu einem furiosen Missklang. Jünglinge die auf
dem inzwischen herrinnenlos gewordenen Esel durch die Kathedrale
reiten, sich mit einem Stock gegenseitig verprügeln und raufend
im Kirchenschiff umherrennen. Das Menetekel erscheint. Gruppen von
Boten hasten in der Kirche herum und machen sämtliche Wahrsager
des Reiches ausfindig.
In einem prächtigen Conductus tritt die Königin in die
Mitte der allgemeinen Verwirrung. Sie schlägt vor, den jüdischen
Propheten Daniel zu Rate zu ziehen. Dieser entziffert die rätselhafte
Schrift und prophezeit des Königs baldiges Ende sowie die Teilung
und den Untergang des Reiches. Nebukadnezar wird von Darius überwältigt
und gewaltsam entthront. Zwei Sänger jagen ihn unter rezitativem
Wechselgesang durch die Kirche, um ihn zu fangen und zu töten.
Darius inthronisiert sich als neuer König, Daniel wird zu seinem
engsten Berater, und umgehend von seinen verschworenen Intriganten
und Neidern beim König angeschwärzt.
Im entscheidenden Moment des Schauspiels, als Darius den schriftlichen
Befehl verlesen will, dass Daniel in die Löwengrube geworfen
werden soll, verwandelt sich seine pathetisch-feierliche Verkündigung
in das grässliche Geschrei eines Esels. Darius hat sich in
einen veritablen Herrn der Narren und wahrhaften König der
Esel verwandelt. Daniel betet zu Gott und wird durch das ordnende
Eingreifen gottgesandter Engel gerettet. Zum Schluss verkündet
einer der Engel prophetisch die Geburt Christi.
Die literarische Gesellschaft von Beauvais erhebt sich von ihren
Sitzen und verlässt die Kathedrale durch eines der seitlichen
Turmportale. Beim Hinausgehen unterhält man sich über
das Stück. Aus einer Handschrift des Ludus Danielis
geht hervor, dass die Verfasser dieses mittelalterlichen liturgischen
Dramas Studenten aus dem Kloster von Beauvais waren. Es handelt
sich dabei um einen der ersten, und mit Sicherheit um den interessantesten
Versuch der christlichen Kultur, Schauspiel und Musik zu verschmelzen
- sozusagen die Erfindung der Oper in der mittelalterlichen Welt.
Der Ludus war das Fest der Subdiakone und wurde jedes Jahr zu Neujahr
zelebriert. Ich frage, was es mit der berüchtigten Prosa
des Esels auf sich habe, erhalte aber nichts als ein mühsam
verhohlenes Schmunzeln zur Antwort. So würde ich vielleicht
selbst reagieren, wenn der Präsident der Literarischen Gesellschaft
von Beauvais mich nach einem gemeinsamen Theaterbesuch in Gießen
nach den Versen der Wirtin an der Lahn fragen würde.
Statt einer Antwort werde ich zum Frühstück in ein nahegelegenes
Cafe eingeladen, und wir lassen die Kathedrale samt ihrem Eselspektakel
in unserem Rücken.
Zweite Verneigung vor dem Esel:
O Esulein süß, o Esulein süß!
Betrachtungen über die Marginalisierung des Esels auf historischen
Gemälden der Geburt Christi.
Die winterlichen Wetterverhältnisse hier im mittleren Schwarzwald
haben Anna und mich bewogen, nicht wie vorgesehen noch vor Sylvester
nach Gießen zurückzukehren, sondern noch eine Woche als
Gäste im Haus meiner Mutter in Bad Rippoldsau-Schapbach zu
bleiben. Seit wir hier sind habe ich einige Stunden damit verbracht,
die nicht gerade unbeträchtliche Weihnachtsbuchbibliothek meiner
Mutter zu sichte. Es handelt sich dabei um ungefähr einen Regalmeter
mit Anthologien und Bildbänden zum Thema Weihnachten. Das ganze
Jahr über ist die Sammlung zusammen mit dem Weihnachtsbaumschmuck,
den Krippenfiguren und den beiden Nussknackern in Kisten und Kartons
auf dem Speicher verstaut. Wie alle diese Gegenstände das Jahr
über schlummern und nur in der Weihnachtszeit zu einem kurzen,
aber intensiven Leben erwachen, so habe ich auch nur in diesen wenigen
Tagen Gelegenheit, mich dieser besonderen Bibliothek zu widmen.
Da ich mich seit nunmehr zwei Jahren mit der Erforschung der literarischen
Kulturgeschichte des Esels befasse, nehme ich mir diesmal vor, mich
ausschließlich der Darstellung des Esels in den Weihnachtsgeschichten
und den entsprechenden Abbildungen zu befassen. Es kann sehr erhellend
sein, wenn man den Focus der Wahrnehmung auf einen scheinbar unbedeutenden
Nebenschauplatz verengt, um von dort aus eine neue Perspektive auf
den Gesamtzusammenhang zu werfen. Ich nehme mir einen großformatigen
Bildband mit Gemälden zur Geburt Christi vor, stelle mir vor
ich sei der Esel an der Krippe, der nun schauen will, wie er denn
auf den Abbildungen getroffen sei. Dem Esel ein geringes Maß
an Eitelkeit zuzusprechen, sprengt ja wohl noch nicht den Rahmen
der political correctness. Das Ergebnis ist frappant. Ich hätte
eine versüßlichte und verniedlichende Darstellungsweise
des Krippenesels erwartet, aber weit gefehlt. Was sich als Ergebnis
einstellt, lässt sich als eine regelrechte Marginalisierung
des Esels, bis hin zu seiner Annihilation, beschreiben.
Typ 1: Der abgelenkte Esel
Seine Körperhaltung und seine Blickrichtung verraten, dass
er seine Aufmerksamkeit allem anderen schenkt, nur nicht dem neugeborenen
Jesuskind. Als Beispiel führe ich das Tafelbild Anbetung
des Kindes des Meisters der Wiener Anbetung von 1410 an. (Abb.
27). Jusepe de Ribera bringt in seiner Anbetung der Hirten
von 1650 gar ein unter der Krippe schlafendes Tier zur Darstellung,
bei dem es sich um ein Eselchen handeln könnte. Der Esel also,
der das wichtigste Ereignis der christlich aufgefassten Menscheitsgeschichte
verschläft. (Abb. 37)
Typ 2: Der verdrängte Esel
Eine andere Sequenz zeigt Ochs und Esel als aus dem Stall verdrängt,
da dieser von der Muttergottes mit dem Jesuskind belegt ist. Eine
nachdenkenswerte Kettenreaktion, wenn man bedenkt, dass ja auch
Maria und Josef aus der Welt der menschlichen Herbergen verdrängt
sind. Die beiden Tiere werfen erzürnte Blicke auf die ungebetenen
Gäste. Einen besonderen Anstrich erhält dieses Migrationsproblem,
wenn man außerdem bedenkt, dass die Kirchenväter eine
Sehweise festgeschrieben haben, die den Esel als Stellvertreter
des Judentums und den Ochsen als den Repräsentanten der gesamten
übrigen nichtchristlichen Menschheit definiert. Ihre Anwesenheit
bei der Geburt Christi symbolisiert demnach ihre, wenn auch begrenzte,
Teilhabe an dem christlichen Heilsgeschehen. Gemälde dieses
Typus dürften also durchaus als eine Darstellung der Verdrängung
der älteren Religionen durch die neue Religion des Christentums
betrachtet worden sein. Geburt Christi von 1350 vom
Meister des Hohenfurther Passionszyklus (29); Geburt Christi
des Konrad von Soest aus dem Jahre 1403 (Abb. 31)
Typ 3: Der skurrile Esel
Daneben existieren mehrere schlichtweg skurrile Darstellungsformen
des Esels. Bei Sandro Botticelli findet sich zwar eine besonders
starke Beziehung zwischen dem Esel und dem Christuskind angedeutet,
aber der Standort des Esels ist so unerfindlich, dass die ganze
Szene eine merkwürdige Komik erlangt. Botticelli Anbetung
des Kindes 1501 (Abb. 41).
Typ 4: Der annihilierte Esel
Tintoretto findet auf seinem fünf Meter breiten und viereinhalb
Meter hohen Ölgemälde Anbetung der Hirten
gerade noch Raum genug, die Ohren des Esels abzubilden. (Abb 51).
Nur den Rücken des Esels bekommt der Betrachter der Geburt
Christ von Dirck Barendsz (um 1550) zu Gesicht (Abb. 53),
der Rest des Tieres bleibt hinter dem massigen Körper des Ochsen
unsichtbar. Aus dem gleichen Grunde findet der Betrachter des Gemäldes
Anbetung des Kindes von Robert Champin kaum mehr als
das Auge des Esels.(Abb. 85) Ähnlich ergeht es dem Esel auf
der Anbetung der Könige von Gentile da Fabriano
aus dem Jahr 1423, wo nurmehr Augen und Ohren des Esels hinter dem
Heiligenschein eines der drei Könige hervorstechen. (Abb. 53)
Auf der Anbetung der Könige von Hieronymus Bosch
verschwindet der durch einen Baumstamm teilweise verdeckte Kopf
des Esels im Dunkel des Stalls (Abb. 77). Nahezu kriminalistischen
Spürsinns bedarf es, wenn man den Esel auf Hans Memlings Geburt
Christi entdecken will. (Abb. 89)
Bei Hans Holbein d. Ä. entfällt der Esel gar ganz, nur
noch der Ochse wird als Krippentier geduldet. Anbetung des
Kindes 1514 (Abb. 52). Das gleiche gilt für Gerard von
Honthorsts Anbetung der Hirten (Abb. 95) und Albrecht
Dürers Anbetung der Könige von 1504 (Abb.
120).
Besonders am Herzen liegt mir Albrecht Dürers
Geburt Christi auf dem Mittelteil des sogenannten Paumgartner-Altars.
(Abb. 87) Es handelt sich dabei um eine Kombination der Typen 1
und 4. Teilweise von einer Säule verdeckt erkennt der Betrachter
ein Stück des Mauls des Esels und einen Teil des restlichen
Kopfes. Wie seine Blickachse verrät, interessiert dieser Esel
sich in keiner Weise für das Christuskind Seine ganze Aufmerksamkeit
schweift in die Ferne und gilt ausschließlich dem in der Höhe
des Himmels über der ganzen Szene schwebenden Engel. Ich bin
sicher, dass es sich dabei um eine gezielte Kunstübung des
Esels handelt, seine Wahrnehmung auf eine vermeintliche Nebensächlichkeit
zu richten, um so zu einer neuen, erweiterten Wahrnehmung der Gesamtszene
zu gelangen. Ich ziehe den Hut vor dieser Leistung, das muss man
erst einmal zustande bringen, bei einem so bedeutenden Ereignis
den Blick für die Nebensächlichkeiten zu bewahren. Ich
gäbe einiges darum, zu erfahren, welche Beobachtungen und Gedanken
er bei dieser Gelegenheit angestellt haben haben mag.
Dritte Verneigung vor dem Esel:
Die Rolle des Esels in der arabischen Traumdeutung.
Zu den literarischen Nachbereitungen des verflossenen Weihnachtsfestes
gehört weiterhin die Durcharbeitung zweier Bücher, die
ich von meiner Schwester Mechthild als Weihnachtsgeschenk bekommen
habe. Dabei handelt es sich um Annemarie Schimmel: Die drei
Versprechen der Sperlings. Die schönsten Tierlegenden aus der
islamischen Welt und Das Traumbuch des Achmet Ben Sirin,
übersetzt von Karl Brackertz.
Annemarie Schimmel hat ihre Anthologie von Tierlegenden nach den
jeweils hauptsächlich beteiligten Tieren angeordnet und mit
einigen einleitenden Bemerkungen zu den einzelnen Tieren versehen.
In dem Kapitel, das dem Esel gewidmet ist, kommt die Autorin auch
auf den Wildesel zu sprechen. Die knappen Ausführungen sind
besonders wertvoll, da das Verhältnis des Wildesels zum Esel
seit längerem beschäftigt.
Bereits ganz am Anfang der literarischen Kulturgeschichte des Esels
spielt das Verhältnis des Wildesels zum Esel eine gewisse Rolle,
im Gilgamesh-Epos nämlich, wo Enkidu, der Freund und Gefährte
Gilgameshs, gelegentlich als Esel gezeichnet/bezeichnet wird, dessen
Vater ein Wildesel und dessen Mutter ein Berggazelle gewesen ist.
Man kommt bei einer Beschreibung der Kulturgeschichte des Esels
um die Analyse der altorientalischen Literatur im allgemeinen und
des Gilgamesh-Epos im besonderen nicht herum, und ich habe in dieser
Richtung bereits einige Vorstudien betrieben. Der Wildesel oder
Onager spielt in diesem Umfeld eine größere Rolle als
in anderen Literaturen. Auch finden sich im sumerischen und akkadischen
Kulturkreis bereits erste Abbildungen des lauteschlagenden Esels.
Dabei ist mir aufgefallen, dass der Esel seine Laute, die auf den
Abbildungen eher an eine Harfe erinnert, auf den Bauch eines liegenden
Ochsen stellt, um dessen Bauchhöhle als Klangkörper zu
nutzen. Ikonographisch scheinen diese Szenen auf eine verblüffende
Art auf spätere christliche Weihnachtskrippendarstellungen
vorauszudeuten. Vielleicht handelt es sich hier um die späte
Übernahme und Neubestimmung eines alten und wirkmächtigen
ikonographischen Motivs?
Im alten Arabien, so schreibt Annemarie Schimmel an der genannten
Stelle, war der Wildesel, der Onager, das edelste Wild, und seine
Erlegung wurde besonders gefeiert. Alles Wild ist im Magen
des Wildesels, d.h. alles, was der Jäger erhoffen kann,
hat er, wenn er dieses Tier erjagt. Der sassanidische Herrscher
Bahram Gur (reg. 420-38), erhielt seinen Beinamen nach dem Wildesel
gur.
Der gewöhnliche Esel ist dagegen das verachtetste Tier; der
Koran sagt, daß seine Stimme die abscheulichste Stimme
sei (Sure 31,19), und diejenigen, die den Inhalt ihrer heiligen
Schriften nicht verstehen, sind wie der Esel, der Bücher
trägt (Sure 62,5). So wird der Esel, wie bei uns, zum
Sinnbild der Dummheit.
Die von Annemarie Schimmel im Eselkapitel zusammengestellten
Texte Tadel des Esels von Saadi, Wie der Schiraser
Mystiker Ruzhiban über die Liebe predigt von Fachruddin
Iraqi, Der Esel, der den Reiter tadelte R. Gramlich
nach Sarradsch und Wie die Sufis den Esel des Gastes verkauften
von Rumi, illustrieren die Rolle des Esels als Symbol für die
irdische Welt, für den Körper oder die schmutzige Triebseele.
Ein wenig anders stellt sich das Bild des Esels im
Traumbuch des Achmet Ben Sirin dar. Die Hinweise zu
dem Entstehungszusammenhang des Buches sind ungeklärt. Der
Übersetzer und Kommentator Karl Brackertz vermutet einen griechischen
Christen, der auch arabische Quellen genutzt hat, als Verfasser.
Als Entstehungszeit kommt der gesamte Zeitraum zwischen 833 und
1176 in Betracht. Das Kapitel 233 trägt den Titel Über
Esel nach der Lehre der Perser, Inder und Ägypter. Lesen wir
ein wenig hinein:
Die Auslegung des Esels läßt eine vielfache
Bestimmung zu, meistens bedeutet er das Schicksal des Menschen.
Träumt einer, er setze sich auf eine Eselin, wird er durch
eine Frau glücklich werden, besteigt er einen Esel, weist das
Gesicht ebenso auf sein Geschick; auch ihm wird das Glück in
dem Maße hold sein, wie er den Esel lenkt und dieser sich
lenken läßt; ist der Esel schwarz, wird ihm das Glück
klingende Münze bescheren, wenn weiß, Glück und
Aufschwung von Frau und Kindern herrühren. Kauft oder bekommt
jemand einen Esel geschenkt und führt er ihn ohne Widerstreben
in sein Haus, wird er Gnade bei Gott finden und Reichtum in seinem
Haus häufen, so wie er auch den Esel mühelos ins Haus
führte. Findet jemand einen Esel, der sich losgemacht hat und
nimmt ihn mit, wird er eine unerwartete Freude haben.
Und so fort, und so fort. Ich wünsche dem
geneigten Leser viele losgebundene, glücksverheißende,
geschenkte oder käuflich erworbene, weiße und schwarze
Esel- und Eselinnenträume im neuen Jahr, Jahrhundert, Jahrtausend,
... - wie man will. Ich selber habe letzte Nacht bereits einen vielversprechenden
Traum gehabt, toi toi toi. Wenn man sich so ausgiebig mit dem Esel
befasst wie ich, ist das ja sicher auch kein Wunder. Aber, lieber
Leser, wenn du dich nur tief genug in diese Seiten versenkst und
sie mit offenem Herzen in deine Seele aufnimmst, dann nimmt die
Wahrscheinlichkeit, dass auch dir einmal im Traum ein Esel erscheint,
um ein beträchtliches zu, und das ist doch besser als gar nichts,
. oder?
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