Kollegen grillen
von Katja Kirchner-Nöll
Jedes Jahr treffen sie sich wieder. Es ist eine Art
Ritual geworden, bei dem sich niemand mehr so recht daran erinnern
kann, wie und warum es ins Leben gerufen wurde. Aber wen interessiert
das noch, wenn auf Kosten der Firma oder irgendwelcher Jubilare
geschlemmt werden darf?
Bereits in den Tagen der Vorbereitung wächst die Erwartung,
den Erfolg des Vorjahres wiederholen zu können. Das Wetter
zumindest bietet eine perfekte Ausgangsbedingung: Ein lauer Sommerabend,
genau das Richtige für ein Grillfest, kalte Getränke und
nettes Geplauder. Von einigen Emsigen wurde der Platz schön
hergerichtet, mit bunten Blumen, Lampions, Tischdecken auf den Biergarnituren
und sogar für stimmungsvolle Musik wurde gesorgt. Zwei große
Grills stehen bereit, denn es werden eine Menge Gäste erwartet.
Das Besteck muß sich jeder selbst mitbringen.
Langsam trudeln die Menschen ein. In kleinen Gruppen stehen sie
erst etwas unsicher zusammen. Man hat sich lange nicht mehr privat
gesehen und unterhalten. Hier und da wird verschämt aufgelacht,
wenn einem doch das Thema Arbeit über die Lippen kommt. Das
wurde nämlich für den heutigen Abend zum Tabu erklärt
und es muß ein Ausgleich gefunden werden, ein Mittelpunkt
des Festes, der jeden befriedigt: Das Essen. Und genau dafür
wird nun gesorgt. Kunstvoll werden im Grill Holzscheite geschichtet
und gestapelt, um eine optimale Belüftung des Feuers zu erreichen.
Erst unscheinbar und verspielt, doch schließlich temperamentvoll
läßt das Feuer seine Macht erahnen. Die Augen der Umstehenden
glühen in der Abendsonne und den holzfressenden Flammen auf.
Das Flackern hypnotisiert und erregt zugleich.
Mit bebenden Nasenflügeln und fixierenden Blicken umschleichen
sie sich, jeder scheint zu wissen, was zu tun ist. Es bilden sich
rätselhafte Formationen, lösen sich wieder auf, um sich
in neuer Variation zusammenzusetzen. Dieser gespenstische Tanz dauert
einige Zeit an, bis auf ein unsichtbares Zeichen alles zum Stillstand
kommt. Die Auserwählten befinden sich in den Zentren zweier
Kreise aus Körpern, die Schulter an Schulter stehen. Sie werden
mit fliegenden Fingern betastet und zuerst oberflächlich begutachtet.
Langsam schließen sich die Kreise enger um sie, die Hände
und Gesichter werden energischer, lustvoller und gieriger. Die erste
Naht gibt unter dem Ansturm nach und nun gibt es kein Halten mehr.
Ohne Rücksicht werden ihnen die Kleider vom Leib gerissen und
schon graben sich die ersten Nägel und Finger in die ungeschützte
Haut. Die Festigkeit des Fleisches wird von vielen fachkundigen
Fingerspitzen geprüft und beurteilt. Doch die wirkliche Gier
und Ekstase bricht erst aus, als die willenlosen Körper ihr
Blut preisgeben. Erst aus feinen kaum merklichen Kratzern, die die
Nägel der weiblichen Gäste hinterlassen und schon bald
aus größeren Wunden, die das Blut im Überfluß
freisetzen. Der Geruch des noch warmen Blutes wird genussvoll aufgesogen.
Die klebrige Flüssigkeit rinnt durch Hände, beginnt im
Schein des Feuers zu schimmern und einige Hungrige, die nicht warten
können, fangen es in Schalen auf und lassen es mit geschlossenen
Augen die Kehlen hinunterlaufen. Die anderen bemühen sich weiterhin
um die Auserkorenen. In Streifen wird ihnen die Haut vom Fleisch
gezogen, fein säuberlich am Kopf beginnend und an den Füßen
endend. Achtlos bleiben die Hüllen der Menschen zurück,
als dazu übergegangen wird, die Körper in grillgerechte
Teile zu zerlegen: Der Rumpf ergibt einen Spiesbraten, die Rippen
werden zu Koteletts und Rippchen verarbeitet, außerdem entstehen
Steaks und diverses anderes feine Grillgut.
Es ist inzwischen Nacht geworden, einzelne Grillen sind noch zu
hören und Fledermäuse werden durch die Wärme, das
Licht und die Nachtfalter angelockt, zerschneiden immer wieder mit
ihren ledrigen Flügeln die Luft. Sie verleihen dem Ganzen eine
schaurige Atmosphäre.
Der Braten dampft und knistert über den Flammen, langsam überzieht
ihn eine hellbraune Kruste und die Kurbel wird fleißig gedreht,
damit er gleichmäßig gart. Ab und zu, wenn zu viel Fett
in das Feuer tropft, lecken die gelben Flammenspitzen an dem Fleisch,
als wenn sie vorkosten wollten. Sie werden jedoch sofort mit einer
gehörigen Dosis Bier wieder gezähmt und zurückgedrängt.
Die Stimmung ist gelöst und heiter, einige wärmen sich
am Feuer, andere mit Getränken. Als bekanntgegeben wird, daß
mit dem Essen begonnen werden kann, wird einander fröhlich
zugeprostet. Das Fleisch wird gelobt: Es sei sehr zart und durchgebraten
und dennoch fest und saftig, man habe wieder genau das Richtige
ausgesucht. Und es zeigt sich, daß dies der Wahrheit entspricht,
denn selbst die Knochen werden noch sorgfältig abgenagt, um
möglichst viel und lange von diesem Geschmack auszukosten.
In einem ruhiger werdenden Strom fließen die Gespräche
dahin, vormals glänzende Augen überzieht ein Schleier
der Müdigkeit, hinter vorgehaltener Hand werden die ersten
herzhaften Gähner genossen und die Gäste verabschieden
sich der Reihe nach. Ein bißchen traurig ist man, daß
dieser Augenblick so schnell vorüber geht. Doch ein Trost bleibt:
Nächstes Jahr wird man sich wieder versammeln, wieder zum Grillen
in einer warmen Sommernacht.
Aber ein Geheimnis erfahren nur wenige: Wer waren
die bedauernswerten Opfer, denen jeder Beachtung aber niemand sein
Mitgefühl schenkte?
Natürlich diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer
nicht teilnehmen konnten.
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