Das nicht ganz so große Entkommen Mk. IV

von Daniel Randau

 

“Ah, nein - das - hatte - ich - nicht - erwartet!“

- Mondmatt, zu Elric

 

Jetzt gehen die ‘fasten seatbelts‘ Blinklampen an, sicheres Zeichen, daß harte Zeiten bevorstehen. Und wie auf Kommando reißt ein Stoß Pen vom Sitzpolster; in der ganzen zweiten Klasse wird panisch und synchron aufgeschrien, als hätte man das vorher geübt. Ein schnieker Anzug kommt kreidebleich aus dem Klo. Die Kabine schaukelt wie ein elektrischer Bulle, doch die Stewardeß scheint derlei gewöhnt zu sein, denn sie steht mitten im Gang, ohne sich irgendwo festhalten zu können, außer an ihrem Mikrofon.
“Bitte bewahren sie Ruhe“, scheppert ihre Stimme übers PA, “Wir durchfliegen nur einige atmosphärische Turbuleeeee...“ An dieser stelle unterbricht sie ihre Liveübertragung und fällt hintenüber in den Gang; ihre atmosphärischen Turbulenzen lassen den Jet nach vorn kippen wie eine Wildwasserbahn. Der panische Chor legt eine spontane Zugabe hin, Pen krallt die Hände in die Armlehnen, und auf den Monitoren in der Zweiten Klasse erlischt die Zeitangabe. Nur die Flugroute ist noch zu sehen, doch das Pixelflugzeug auf der rote Kurve über den Ozean bewegt sich nicht mehr, sondern blinkt an und aus, wie das ‘fasten seatbelts‘ über den Sitzen.
Hinter dem Fensterchen neben seinem Sitz ist immer noch grubenschwarze Nacht. Wie lange man im Dunkeln wohl im Wasser treibt, bis man gefunden wird? Ob es wohl besser ist, gleich den Aufprall nicht zu überleben und wenigstens im Trockenen zu sterben? Pen hat keine Lust, jetzt darüber nachzudenken. Lieber noch einmal Geschrei, und rings herum scheinen die anderen Passagiere dasselbe zu denken. Die Stewardeß ist schon wieder auf den Beinen, und diesmal kreischt sie mit. Die Ärmste hat nicht mal einen Sitzplatz, jetzt verschwindet sie hinter dem Vorhang der ersten Klasse, wohl um noch einmal das Märchen von den atmosphärischen Turbulenzen vorzutragen.

***

Was für eine Nacht. Doktor Deltoid gähnt und schaut nach der Uhr an der Wand. Nachts um drei ist der Flur menschenleer.
Bestimmt zwei Stunden her, seit Mrs Walker in den Kreißsaal geschoben wurde und dabei aus Leibeskräften schrie und schwitzte. Sie ist nicht müde geworden, trotz der schmerzstillenden Sedierung; ihr Kind läßt sich Zeit auf seinem Weg ins Land der Lungenatmer. Selbst auf dem Flur kann Doktor Deltoid sie hören.
Die vorgerückte Stunde lastet wie Metall auf seinen Augenlidern, höchste Zeit für heiße Stimulanzien aus einem Pappbecher. Der Kaffeekasten in der Kantine fordert unerbittlich Markstücke; Doktor Deltoid wühlt in seinen Kitteltaschen, stöbert zwei versprengte Pfennige auf. Doch der Automat in der Kantine könnte genausogut auf dem Roten Platz in Moskau stehen; keine Chance für einen Doktor in Bereitschaft, die drei Minuten Fußweg zurückzulegen. Vielleicht gibt es mit Mrs Walker noch Schwierigkeiten. Vielleicht braucht die Hebamme seine weißbekittelte Autorität.
Vielleicht kann er im Schwesternzimmer eine Tasse Tchibo schnorren. Doktor Deltoid schnippt mit den Fingern und setzt sich in Bewegung, auf die angelehnte Holztür zu.

***

“...Willkommen an Bord! Noch einmal möchten wir sie auf das Rauchverbot hinweisen, das auch in den Waschräumen gilt, und bitten sie, während des Starts auf ihren Sitzen zu verbleiben. Wir wünschen ihnen eine angenehme Reise!“
Die Stewardeß plapperte gutgelaunt in ihr Mikrophon und riß Pen aus seinen Gedanken. Statt auf die Demonstration der Schwimmwesten zu achten, hatte er aus dem Fenster in die Dämmerung geblickt. Das Fahrwerk glitt über die Rollbahn, er konnte die Beschleunigung im Magen spüren, dann hob sich die Kabine in den Himmel wie ein Flakgeschütz, Pen drückte die Fingerkuppen gegen die Nasenflügel, um dem schmerzhaften Druckabfall zu entgehen. Der Regen trommelte gegen die Scheibe, hinterließ ein unregelmäßiges Muster herabrinnender Wassertropfen, Pen konnte ihn jedoch nicht hören. Ein paar Grad wärmer nur, und wirbelnde Schneeflocken wurden zu harmlosen Regenfäden. Auf dem Rollfeld lag längst kein Schnee mehr, vielleicht war er getaut, vielleicht geräumt, oder vom Regen weggespült. Dankbar schloß Pen die Augen. Er würde einen Gin Tonic bestellen, sobald die adrette Uniform ihr Erfrischungswägelchen an seinem Sitz vorbeischob, besser gleich zwei, um den Rest des Fluges verschlafen zu können. Die Drinks auf einen Zug herunterstürzen, die Augen schließen und die unermüdliche Stimme aus seinen Hirnwindungen verbannen. Ohne Pause redete der alte zwischen seinen Ohren auf ihn ein, wiederholte seinen Vortrag Satz für Satz. Daheim würde Pen das Geseire auf dem Band abhören müssen, Satz für Satz, den Finger auf der Rücklauftaste, die andere Hand auf den Typenhebeln seiner alten Clark Nova, doch bis dahin wollte er die Stimme nicht mehr hören.
Hier kam die Stewardeß. “Zwei Gin Tonic“, kommandierte Pen, bevor sie Zeit hatte, ihn nach seinen Wünschen zu fragen. Sie musterte ihn kurz, mit dem mißbilligenden Blick, den Flugbegleiter für Passagiere übrig haben, die alkoholisch hochprozentige Getränke bestellen. Pen schenkte ihr ein knappes Lächeln, versuchte, wie ein flug- ängstlicher Tourist auszusehen, während er die Plastikbecher entgegennahm und auf dem Tablett vor seinem Bauch abstellte. Sie rollte ihren Wagen weiter, und er kippte die Drinks nacheinander in sich hinein; beinahe augenblicklich spürte er die wohltuende Wärme der Benommenheit. “Was kann ich ihnen anbieten?“ hörte er die adrette Stewardeß in der Reihe hinter sich, und die Stimme schwang sich zwischen seinen Ohren von Synapse zu Synapse, dröhnte wie ein Orchester.

***

Doktor Deltoid kann sich nicht erinnern, diese Holztüre jemals verschlossen gesehen zu haben. Vielleicht liegt es daran, daß die Mädels in den weißen Kitteln immer auf dem Sprung sind, vielleicht weil sie so gerne auf Besucher einreden. Ganz gleich, wer ins Schwesternzimmer kommt, er muß sich setzen und die Geschichte von Tinas Exfreund, diesem Schuft, anhören, oder eine Inhaltsangabe des supersüßen Kinofilms von Montag, unterbrochen von anhaltendem Gekicher.
Just dieses Lachen hört Doktor Deltoid, als er vor dem Zimmer steht. Dann protestiert eine Frauenstimme “also Nee“, zieht den Doppelvokal in die Länge wie ein Gummiband.
“Dochdoch, Gitti, der trägt ein Toupet, ganz bestimmt...“
Neugierig drückt sich Doktor Deltoid näher an das Holzpaneel.
“Egal, das Buch ist trotzdem total super, also wirklich. Völlig weggeflogen, aaber...“
“Aber er hat dich überzeugt?“
“Total. Hier, wo isses denn? Ah, ja...“ Räuspern und Geraschel. “Erst blablabla, dann... Ist der wundervolle Glanz der Energie in seiner Schönheit für sterbliche Augen nicht gedacht. Wie die Statuen der Antike, deren Anmut sich dem hastigen Betrachter entzieht, und dem Kenner offenbart, braucht es ein geschultes Auge, die Schönheit einer Frau zu begreifen; eine Schönheit, die gespeichert in der jahrhundertealten Energie aus jeder Faser ihres neuen Körpers scheint, wenn man nur Augen hat, zu sehen.“ Jetzt wird wieder gekichert, diesmal zweistimmig.
“Also, Komplimente machen kann dieser Per Sochef schonmal...“
“Ich hab‘s noch nicht durchgelesen, aber bis jetzt muß ich sagen: er hat mich total überzeugt.“
“Wieso?“
“Na, weil wir alle schon mal auf der Welt waren. Hier, er beschreibt auch so Meditationsübungen, mit denen man sich an seine früheren Leben erinnern kann.“
“Hast du‘s schon ausprobiert?“
Doktor Deltoid vermutete, daß Gitti jetzt eifrig nickte, bevor sie wieder das Wort ergriff.
“Ich glaube, ich war schon oft auf der Welt. Ich hab da so gesessen und meditiert, ne... und dann sah ich mich auf einer Liege, in sonem Palast... überall Diener, total der Luxus... ich war die Königin Kleopatra!“
Vor der Tür schüttelt Doktor Deltoid den Kopf; er kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Immer dasselbe. Ist es keine Power-Aerobic oder Frucht-Diät, dann graben sie den fernöstlichen Mumpitz wieder aus. Gitti fühlt sich also reinkarniert, bestimmt ist sie da nicht die Einzige, aber wieso waren alle in ihrem früheren Leben berühmt? Warum waren sie Katharina die Große, Sheherazade oder Kleopatra? Warum nicht Marketenderin, Schweinehirt oder Pestopfer? Wieso war niemand auch früher nur ein kleines Licht in einer langweiligen Existenz?
Vielleicht sollte ich sie fragen, fährt es Doktor Deltoid in den Sinn. Aber dann krieg‘ ich heute Nacht bestimmt keinen Kaffee mehr zu sehen.

***

“Was kann ich ihnen anbieten?“
Auf den Photographien hatte er größer gewirkt, eindrucksvoller. Vielleicht lag es an dem Morgenrock aus verschlissenem roten Frottee, vielleicht an dem Stumpen im Mundwinkel, der qualmte und stank wie ein Kartoffelfeuer. Vielleicht lag es auch daran, daß er sein Toupet nicht trug. Im Lampenlicht glänzte sein kahles Haupt wie eine Goldmine.
“Vielleicht einen Kaffee?“
“Danke, Mr Sochef. Später vielleicht...“
“Aberaber! Warum so förmlich? Sag doch Per zu mir!“ Und seine Hand klopfte Pen auf die Schulter, wofür Sochef sich auf die Zehen stellen mußte, bevor er die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufstieß.
“Entschuldige die Unordnung“, meinte Sochef, und schnickte Asche von der Zigarrenspitze auf den Teppich. Pen fischte sein Etui aus der Tasche, paffend machte er es sich auf dem Sofa bequem.
“Aaalso...“ Sochef ließ sich in seinen Sessel fallen, verstummte, als sein Gast die Hand hob. Fahrig durchwühlte Pen die Aktentasche nach dem Tonbandgerät, vergewisserte sich, daß er ein Band eingelegt hatte, bevor er auf ‘Aufnahme‘ drückte.
“Hast du gut hergefunden?“ Sochef begann von vorn. Pen nickte zur Antwort.
“Das freut mich. Weißt du, als der Korrespondent vom ‘New Herald‘ hier war, da. gab es doch tatsächlich...“
“Bitte, Mr Sochef... Ich habe nur fünfundvierzig Minuten Band mitgebracht, und...
“Schon kapiert.“ Sochef zwinkerte ihm zu. “Kommen wir zur Sache. Hast du einen Fragebogen, oder sowas?“
“Eigentlich dachte ich...“
“Also nicht, auch gut. Was weißt du über die Reinkarnation?“
“Nicht viel“, mußte Pen gestehen
“Was hältst du denn davon?“
Pen blies eine Rauchwolke zur Decke. “Nicht viel“, wiederholte er. “Esoterisches Gewäsch, ohne wissenschaftliches Rückgrat. Ein Haufen Pseudoexperten, die mit ihrem Schund das schnelle Geld machen wollen... nichts für ungut“, setzte er rasch hinzu, als er sich erinnerte, mit wem er sprach.
“Hm.“
Pen entspannte sich, als er seinen Gastgeber lächeln sah.
“Wie’s scheint hast du keine Ahnung von der ganzen Sache?“ Es klang nicht wie eine Frage. Pen wappnete sich mit einem tiefen Zug, ließ barocke Rauchkringel aus seinen Nasenlöchern kräuseln.
“Vielleicht ist dir Doktor Soemmering ja ein Begriff...“, holte Sochef aus. “Er suchte seinerzeit nach der Seele im menschlichen Gehirn...“
“Nur in den Gehirnen gefallener Soldaten!“ Pen wußte Bescheid. “Lebende Hirne hat er nicht seziert; schön blöd, sonst hätte er nicht behauptet, daß die Suppe, die aus seinen aufgebohrten Köpfen rauslief, die Seele sei. Lebende Hirne sind weitgehend trocken.“
An dieser Stelle hob Sochef den Zeigefinger. “Nicht so hastig. Zufällig lag unser Doktor in einem entscheidenden Punkt goldrichtig.“
“So?“
“Deine Suppe... Siehst du, es ist schon ein Durchbruch, einer Flüssigkeit eine solche Eigenschaft zuzusprechen. Was glaubst du, welche Flüssigkeit er in den Hirnen fand?“
Pen dachte nicht lange nach. “Wasser.“
“Genau. Und selbst wenn die menschliche Seele nicht aus Wasser besteht, so ist doch das simple Molekül in der Lage, die Energie dieser Seele aufzuzeichnen und zu transportieren...“ Sochef legte eine dramatische Pause ein.
“Zu transportieren, soso“; brach Pen schließlich das Schweigen. Vielleicht hätte ich sein Buch doch lesen sollen, dachte er. Dann wüßte ich womöglich, worüber verdammt er eigentlich gerade redet.
“Zu transportieren“, wiederholte Sochef. “Seelenwanderung, was für ein tolles Wort. Niemand weiß, wie es funktionieren soll, und deshalb sagen sie ‘so ein Quatsch‘ - und glauben sie mir, das habe ich auch zuerst gedacht. Dabei ist die Reinkarnation so einfach wie Bier zapfen.“
Pen sah sich nach einem Aschenbecher um, drückte seine Kippe schließlich verstohlen unter dem Schuh aus; sein Gastgeber bemerkte es nicht, er hatte die Augen zur Decke gekehrt, während er sich in der eigenen Werkgeschichte erging. Die Namen ägyptischer Götter mischten sich mit denen toter Philosophen, Astronomen und Chemikern. Gut, daß das Band mitläuft, dachte Pen. Es fällt mir schon schwer genug, nur ein interessiertes Gesicht zu machen.
“Vergiß das Gewäsch von ‘verrechnen‘ oder ‘beurteilen‘“, hörte Pen. “Warum sollte ich wählerisch sein? Jede Lebensform vermehrt sich, stirbt einmal, und alle entstehen immer aus einer einzigen Zelle. Manchmal wird aus dieser Zelle ein Mensch geboren, oder auch ein Maultier, ein Mistkäfer, oder ein Moskito. Wie gesagt, warum wählerisch werden? Als Gefäß sind alle geeignet.“
Pen rutschte auf dem Polster herum. Höchste Zeit für eine Zwischenfrage, dachte er, sonst glaubt er am Ende noch, ich sei nicht interessiert.
“Wieso als Gefäß?“
“So einfach wie Bier zapfen, erinnerst du dich?“
Pen nickte, was hätte er auch anders tun sollen.
“Und welches Gefäß ist zum Bier zapfen geeignet?“ fragte Sochef weiter.
“Jedes“, antwortete Pen. “Es muß nur wasserdicht sein...“
“Haargenau! Nicht ‘bierdicht‘, sondern wasserdicht! Nun, ein belebter Körper, im gesunden Idealzustand, ist wasserdicht. Also ist er geeignet, die...“ Sochefs Hand beschrieb wirbelnde Kreise, während er nach Worten suchte, “...die Energie, die Seele, wenn du so willst, aufzunehmen. Denn Wasser, einfaches elementares Wasser, ist die geheime Zutat.“
“Wasser ist Leben.“ Ohne sein Zutun war Pen dieser Satz in den Sinn gekommen.
“Haargenau!“ Sochef wirkte wie ein zufriedener Lehrer. “Es ist überall. Und immer in Bewegung.“
“Aber was hat Wasser mit der Reinkarnation zu tun?“
In scheinbarer Entrüstung rollte Sochef mit den Augen. “Hast du denn nicht zugehört? Wasser transportiert und zeichnet auf. Was glaubst du wohl , warum es Schneeflocken gibt?“
“Keine Ahnung.“ Pen zog die Schultern hoch.
“Seit es Schneeflocken gibt, haben noch niemals zwei Schneeflocken gleich ausgesehen. Sie sind alle verschieden.“
Pen nickte, das wußte er schon. “Als ich klein war“, fiel ihm dazu ein, “Habe ich immer versucht, Schneeflocken mit der Zunge aufzufangen...“ Urplötzlich schnitt Sochef eine Grimasse.
“Äh...“ Was nun?, fragte sich Pen, “dann dachte ich immer: Warum gibt sich jemand solche Mühe mit den Schneeflocken? Das muß doch eine Heidenarbeit sein...“
Sochef schüttelte den Kopf. “Überhaupt nicht. Eigentlich sind sie ein Abfallprodukt...“ Das Unverständnis in Pens Blick forderte ihn zum Weiterreden auf.
“Manchmal reinkarniert sichs eben nicht so reibungslos. Kriege, Seuchen, Hungersnöte... dann gibt es nicht genug bereitstehende Gefäße. Aber Wasser ist immer genug da auf deinem Planeten, allzeit bereit, die Überschüssigen zu speichern. Und auf seinem Weg zum Himmel wird es kalt, manchmal kalt genug um zu kristallisieren...“
Langsam begann Pen zu begreifen. “Wenn es also schneit...“ Doch Sochef ließ sich das Wort nicht nehmen.
“Dann werden die Seelen sichtbar. Jede ein klein wenig anders, und sie rieseln zurück in die Erde, bis sie wieder gebraucht werden...“
Stille senkte sich auf die beiden Männer. Leise drehte sich das Band in Pens Aufnahmegerät.
“Seltsam“, meinte Sochef schließlich, “daß sich die Menschen wundern, wie Blumen aus dem Schnee wachsen können... eigentlich ist das kein Wunder...“

***

Durchdringendes Piepsen schneidet Tina das Wort ab. Mit einem Handgriff bringt Doktor Deltoid seinen Melder zum Schweigen, schnellt vom Stuhl. “Dacht ich’s doch! Mrs Walker ist reif!“
Die Schwestern leeren ihre Tassen in hastigen Zügen. “Kaiserschnitt“, meint Doktor Deltoid, er steht vor dem Waschbecken, drückt Gelseife in seine Handfläche. “Also los, meine Damen, heute Nacht gibt’s noch Blut zu sehen!“

***

Die roten Blinklichter erlöschen, und nur Augenblicke darauf folgt die Bordbeleuchung ihrem Beispiel, läßt die Passagiere in Dunkelheit und Schrecken. Die Kabine wirft sie herum wie Wäsche im Schleudergang, doch trotzdem spüren alle die eine Bewegung, die ein Signal an die Urangst jedes Fluggastes sendet, runter kommen sie immer, und jetzt geht es schnell und schneller. Der Jet neigt sich der Erde entgegen wie ein tollkühner Klippenspringer; die Schußfahrt in den Ozean ist nicht mehr aufzuhalten. Überall in der Dunkelheit verschwindet der Glaube an die atmosphärischen Turbulenzen, die Passagiere neigen sich auf ihren Sitzen vornüber, umklammern die Schenkel mit den Armen. Auch Pen nimmt die vorgeschriebene Position ein, seine Schwimmweste ist noch nicht aufgeblasen, die Stewardeß hat es verboten. Jetzt noch nicht, hat sie geschrien, und neue Westen an die Ungeduldigen verteilt, die nicht mehr warten konnten oder wollten.
Wie still es ist. Pen hätte mit neuerlichem Geschrei gerechnet, aber niemand wird laut. Vielleicht bewegen sie in der Dunkelheit die Lippen, vielleicht beten sie. Auch die Dicke auf dem Sitz neben ihm murmelt etwas, und mit der Neugier des Reporters dreht Pen ihr den Kopf zu, um zu verstehen, was sie sagt; er sieht das Weiße in ihren Augen, als sich ihre Blicke begegnen. Sie redet weiter: “Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen...“

***

“Es ist ein Mädchen, Mrs Walker, es ist ein Mädchen!“