»Wäldchestag« von Andreas
Maier
von Dagmar
Steigenberger
Ein Sonderling - Sebastian Adomeit, Ornithologe -
wird im mittelhessischen Örtchen Florstadt zu Grabe getragen.
Ausgerechnet am Pfingstsonntag soll die Beerdigung stattfinden,
das hat Adomeit kurz davor so festgelegt. Und auch das Fest am Dienstag
nach Pfingsten, der traditionelle Wäldchestag, soll den Florstädtern
durch den Toten verdorben werden. Denn an diesem Tag findet die
Testamentseröffnung statt. Ein unguter Zeitgenosse muß
dieser Adomeit gewesen sein, die Gemeinschaft piesackend bis über
seinen Tod hinaus.
So der erste Eindruck. Aber warum beschäftigt der Tod des ungeliebten
Außenseiters die Leute? Warum lassen sie sich von ihm noch
beim Feiern stören? Die Ereignislosigkeit des alltäglichen
Lebens - hier und dort ein paar Feste - langweilt die Florstädter
scheinbar. Und da kommt der Tod des alten Kauzes gerade recht, um
die Gerüchteküche brodeln zu lassen. Ereignisse werden
aufgebauscht, Mutmaßungen angestellt... zu alledem findet
sich auch noch die Schwester Adomeits ein, mitsamt der weitläufigen
Verwandtschaft. Alte Geschichten über sie und ihren Bruder
werden aufbereitet, über den Umfang des Erbes wird spekuliert,
während die angereiste Großnichte und der Südhesse
unter der Dorfjugend höchste Verwirrung stiften.
Daß die Geschichte gerade in der Wetterau spielt, bezeichnet
der Autor Andreas Maier als reinen Zufall. Was unter dem Strich
bleibt, ist etwas, was man auf die Wetterau genauso beziehen kann
wie auf einen anderen Ort, verneint der in Bad Nauheim aufgewachsene
Maier die Frage, ob sein Buch als Heimatroman zu gelten habe. Was
hier am Beispiel der Wetterauer gezeigt wird, dürfte wohl jedem
mehr oder weniger bekannt sein. Man fühlt sich an Charaktere
im eigenen Umfeld erinnert, an Freunde oder an die liebe Verwandtschaft.
Diese Wiedererkennungs-Effekte gestalten das Buch humorvoll und
witzig, machen aber noch nicht das Eigentliche aus, welches dem
33-jährigen Debütanten internationale Preise eintrug wie
den Ernst-Willner-Preis (beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb), den
aspekte-Literaturpreis (ZDF) und den Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung.
Spannend ist an diesem Roman die Perspektive, aus der berichtet
wird. Über 300 Seiten im Konjunktiv! Kein einziger Absatz,
der dem Leser eine Verschnaufpause gönnen würde, lediglich
die Unterteilung in drei Kapitel gemäß dem Handlungszeitraum
von drei Tagen. Der alles-hörende Erzähler gibt dem Leser
weiter, was er in Kneipen, auf dem Friedhof, bei den Gesprächen
zwischen den Einheimischen und Fremden aufschnappt, was ihm gebeichtet
oder vertraulich als todsicher wahr hintertragen wird so steht
im Umschlagtext des Buches zu lesen. Warum allerdings die Geschichte
eingebettet ist in einen Kurantrag bei der AOK (den der Erzähler
Schossau anhand der vergangenen Ereignisse stellen will) ist nicht
plausibel.
Maier hat an diesem Stoff interessiert, wie Wahrheit in der
Kommunikation verlorengeht. Die Welt ist zugedeckt von dem, was
die Menschen reden und reden und reden und was sich als Meinung
und Gerüchte bildet. Diese Vielredner bringen ein Chaos in
die Welt, ein einziges Sprachchaos. Also, nicht mehr reden:
lesen!
Der Roman Wäldchestag von Andreas Maier ist im
Suhrkamp-Verlag erschienen und im Buchhandel für 39.- DM erhältlich.
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