Lahnbeat auf dem Lutherberg
oder: Über die artistische Verschärfung von Avantgarde-Standpunkten
von Marianne Bayer
... denn genau diese war laut Gießener Anzeiger
vom 13.9. den Texten gemeinsam, die an einem milden Spätsommernachmittag
(10.9.) von der Lahnbeat-Literaturbewegung in Gießen unter
der Schillereiche gelesen wurden.
Der zarte junge Moderator mit dem Pferdeschwanz (Florian Michnacs)
sieht dem jungen Schiller mit jedem Jahr ähnlicher, und der
Gast und Gesamtkünstler Arpan, hier als Gebrauchslyriker der
Tucholsky-Schule, ist ein unbestrittener Könner, auch wenn
die Schelte auf Kirche und Pfaffen heutzutage überzogen klingt.
Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich aber
im Folgenden einen einzelnen Aspekt anschauen, der drei Autoren
zufällig oder absichtlich gemeinsam war - der Blick auf Gewalt
und Zerstörung.
Ein Fest für die Sinne und vorlesegeeignet war die Schilderung
einer Scheunenbrandstiftung samt Flucht und Autounfall des betrunkenen
Täterpärchens (Hess Paul: Auf dem Land). Das Bemerkenswerte
ist, dass trotz der holzberstkrachenden Wort-Orgie nie die Distanz
des Autors verlorengeht. Immer wieder werden soziale Bezüge
angedeutet, der plattgefahrene Mais erinnert an den rücksichtslosen
Querfeldeinritt des Grafen und Grundbesitzers von anno dazumal und
sagt deutlich: Der Täter ist ein Rotzlöffel und kein zur
heimlichen Identifikation freigegebener Rächer.
Bei dem Romanauszug von Florian Michnacs ist die Distanzierung durch
den mehrfachen Stilwechsel gewährleistet. Nachrichtentexte
über ein echtes Gewaltverbrechen in der Nachbarschaft werden
in den Lebensroman des eher feinfühligen jungen Protagonisten
eingebaut. Der Wechsel zu Mythos und Poesie-Passagen ist schwierig
zum Hören, Roman-Auszüge sowieso heikel, man wünscht
sich das Ganze zum Nachlesen auf sehr gut gegliederten Buchseiten,
aber man weiß ja, wie schwer das Verlagfinden ist.
Bei Wolf Schreiber handeln Vers und Prosa vom gleichen Typen, oder
vielmehr, der Prosa-Protagonist Larry Rottan fungiert als Verse-Verfasser
und tummelt sich auch im Internet. Ein Dichter nach dem Muster des
versoffenen Detektivs. Ultrakurze Sex-Akte sind in beiden Literaturgattungen
sein Markenzeichen (was die vielen Frauen bloß an dem rülpsenden
Langschläfer finden), ansonsten ist er friedlich - die er hasst,
explodieren ohne sein Zutun. Das spräche für das Vorliegen
von Ironie. Doch beim Hören und Lesen kommen immer wieder Zweifel
an der Reichweite der Ironie. Dieses lapidar alltagssprachliche
Abschilden von Larrys trivialen Meinungen und halbwegs zweckmäßiger
Lebensgestaltung (zum Frühstück hörte er wie immer
samstags, zumindest seitdem die Sommerpause wieder vorbei war, Fußball
im Radio) - lädt das nicht doch zur Identifikation ein? Wie
alt ist der Schreiber, und wie lange kann er so schreiben?
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