Was ist LAHNBEAT?
von Marc
C. Jäger -->Autorenlinks
Die Lahnbeat-Bewegung ist ein Zusammenschluß
dreier Gießener Autoren, die sich von der mittelhessischen
Literaturszene abgrenzen wollen. Florian Michnacs, Paul Hess und
Wolf Schreiber haben bereits 1999 eine Auswahl ihrer Texte in der
"Kaltland Beat"-Anthologie einem breiteren Publikum zugänglich
gemacht. Die Gedichte und Prosatexte verbindet die Ablehnung gegenüber
einem als zu elitär und institutionalisiert angesehenen lokalen
Literaturbetrieb. Durch die Verbindung erhofft man sich eine erhöhte
Aufmerksamkeit, um damit auch überregional bekannt zu werden
und dem "Gießen-Käfig" zu entfliehen. Neben
dem gemeinsamen Feindbild gibt es auch inhaltliche Parallelen: Themen
des Alltags, des "Ordninären" und der Straße
werden aus der Sichtweise von Figuren, die am Rande der Gesellschaft
und der "offiziellen Kultur" (Florian Michnacs) leben,
beschrieben.
Die Autoren:
Florian Michnacs ist vielleicht manchen Lesern durch seinen Vortrag
(an den man sich nicht ohne heiterkeit zurückerinnert) bei
der Verleihung des Literaturpreises der Stadt Gießen im Herbst
1997 (bei dem er zu seinem Leidwesen leer ausging) und durch verschiedene
Veröffentlichungen in der "SHANGHAI Opera" sowie
in der Internet-Zeitschrift "Walachei Wintergarten" bekannt.
Neben der Lyrik hat er sich auch der Prosa verschrieben: Auf der
Internetseite der Lahnbeat-Gruppe wird die Möglichkeit geboten,
sich seinen Roman "Der Angriff der Sonnenstrahlmiliz auf das
Knochenhaus" (1999) herunterzuladen.
Nachdem Michnacs bemerkt hatte, daß seine rein fiktionalen
Versuche zu fade waren, benutzt er heute persönliche Tagebücher,
um daraus Ideen für sein Schreiben zu schöpfen. Schon
sein erstes Roman-Manuskript legt die Vermutung nahe, daß
er darin vor allem Erlebnisse aus seiner alltäglichen Lebenserfahrung
verarbeiten will.
Der junge Autor verfolgt einen detailverliebten psychologischen
Realismus; sein oft vulgärer Sprachstil schildert die Erfahrungen
von Randexistenzen in ihrem gewöhnlichen Lebenskampf. Immer
wieder fühlt man sich in seinem Buch an Gießener Orte
und Landschaften erinnert, die von ihm mit Schriftstellern, malochenden
Arbeitern und gewohnsheitsmäßigen Alkoholikern bevölkert
werden. Fast dokumentarisch erzählt Michnacs von ihren Tagesabläufen
und schreckt dabei auch nicht vor Banalitäten zurück.
Paul Hess inszenierte schon im Jahr 1987 eines seiner
drei absurden Theaterstücke in Bayern, außerdem war er
Organisator der beiden Gießener Lesereihen "Literatur
im Café" (bis 1998) und "Zapfliterat" (bis
1999). Auszüge aus seinem erzählerischen, lyrischen und
dramatischen Werk veröffentlichte er in den Literaturzeitschriften
"Byzanz TOTAL" und "SHANGHAI Opera", für
die er auch teilweise journalistisch tätig war.
Auf der Lahnbeat-Homepage befinden sich zwei Geschichten von Hess,
die ebenfalls von einem drastischen Sprachstil bestimmt sind. In
"Ihr Fenster" schreibt er aus der Ich-Perspektive eines
einsamen Voyeurs und Onanisten, der von seinem Zimmer aus heimlich
in das Fenster einer gegenüberliegenden Wohnung schaut, um
eine junge Frau zu beobachten. In seinen sexuellen Phantasien möchte
er dem tristen Alltagsstreß entfliehen. Die assoziative Gedankenstromtechnik
dient dem Autor dazu, die sich überlagerden Reflexionen und
subjektiven Empfindungen des monologischen Ich in knappen Sätzen
darzustellen. Die zweite Erzählung, "Kapitel Drei der
Harmonie", entwirft die Geschichte eines unheilbar an Lungenkrebs
Erkrankten und seiner (mit)leidenden Freundin Anna. An letzterer
"frißt die Krankheit" und die Hoffnungslosigkeit
zugleich: Ihre einstige Liebe verwandelt sich in Mitleid, Selbstvorwürfe
und Schuldgefühle. Die kurzen Sätze wirken wie erstickt
unter dem Druck der Krankheit und den gesellschaftlichen Erwartungen,
von denen sie sich schließlich befreien will.
Hess hat offensichtlich seinen eigenen Stil gefunden, den er konsequent
und zielstrebig verfolgt.
Dritter im Bunde der Lahnbeat-Bewegung ist Wolf Schreiber.
Der Mitherausgeber der Anthologie "Zwischenzeit. GeDichte"
und Herausgeber der Internet-Zeitschrift "Walachei Wintergarten"
schreibt in Prosa und Gedichtform. Einige seiner Texte sind unter
anderem in der Literaturzeitschrift "Byzanz TOTAL" erschienen.
Leider liegt mir bislang kein Text von Schreiber vor. Florian Michnacs
beschreibt die Short Stories seines Kollegen als "tendenziell
pornographische Fiktion eines krass gezeichneten Asozialen-Milieus",
in der es nur "drastischen Sex ohne jede Art von Liebe"
gibt. Was man sich unter diesen - etwas reißerisch angekündigten
- Geschichten vorstellen kann, sollte der geneigte Leser selbst
herausfinden. Es sei an dieser Stelle nochmals auf die "Kaltland
Beat"-Sammlung verwiesen.
Lahnbeat hatten seit Dezember 1999 einige gemeinsame
Auftritte im Gießener Raum: Zusammen stellte man sich bei
gemeinsamen Lesungen und Symposien (z. B. im Domizil, an der Schillereiche)
vor. Bei der letztjährigen Stadtrauminszenierung "Zeitenwende"
beteiligte sich die "Lahnbeat-Szene" zudem mit einem Literaturstand
am Kirchenplatz.
Bei manchen der oftmals in bewußt vulgärer
Sprache abgefaßten Lahnbeat-Schriften, die sich damit vermutlich
den Anschein des Non-Konformen und Revolutionären geben wollen,
stellen sich allerdings einige Fragen: Hat die sogenannte "Offizialkultur"
nicht schon längst Stoffe wie "Sex und Gewalt, Drogen
und Anarchie" der angeblich Radikalen für sich entdeckt
und vereinnahmt? Sind Pop-Literatur und "Beat generation"
nicht antiquierte Relikte aus dem Amerika der 50er und 60er Jahre?
Wen will man heute noch mit Worten wie "ficken" und "wichsen"
schockieren, wenn Marcel Reich-Ranicki sich bereits in Fernsehsendungen
an diesem vermeintlichen Tabubruch lustvoll delektiert? Die von
Michnacs selbst zitierte Marietta Böning gibt darauf vielleicht
eine passende Antwort: "Kunst also ist Sprache, wenn sie nicht
mehr 'Normalsprache' ist."
Wer noch mehr über Lahnbeat-Literatur erfahren
möchte, der sollte sich bitte an folgende Web-Adresse wenden:
www.lahnbeat.de.
|