Ein Blick nach Albanien - ein allgemeiner Überblick
über die albanische Literatur
von K.Kadzadej
Die Sprache der Albaner oder kipetaren (das
Albanische-shqipja) wird heute von etwa fünf Millionen Menschen
in einem zusammenhängenden Sprachgebiet - in Albanien, in Kosovo
sowie in den angrenzenden Landschaften von Montenegro und Mazedonien
gesprochen. Dazu kommt noch eine große Zahl von albanischen
Ansiedlungen aus spätbyzantinischen und osmanischer Zeit, vor
allen in den Nachbarländern, in Italien (die sogenannten Arbëreshët)
und Griechenland (die sogenannten Arvaniten) sowie in vereinzelten
Orten Bulgariens und Dalmatiens, wo sehr altertümliche Mundarten
gesprochen werden.
Die Entwicklungsgeschichte der albanischen Literatur hängt
eng mit der Geschichte der albanischen Sprache zusammen.
Das albanische Volk ist einer der ältesten Völker Europas.
Es wird seit dem 2. Jahrhundert, oft auch im Zusammenhang mit Griechenland
als Nachbarland, erwähnt. Obwohl es ein altes Volk ist und
die Spuren der geschriebenen Sprache alt sind, bleiben sie doch
Spuren.
Die albanische Sprache ist wahrscheinlich schon im 13.-14 Jahrhundert
geschrieben worden, die ersten kurzen überlieferten Texte stammen
von 1462 und aus der Zeit um 1500.
Das erste auf uns gekommene Buch in albanischer Sprache ist das
Meßbuch des Gjon Buzuku von 1555. Dieses Buch ist von einer
besonderen großen Bedeutung für die albanische Sprachwissenschaft.
Deswegen hat sich der berühmteste albanische Etymologe Egjerem
Cabej zehn Jahre damit befaßt. Dieses Buch eröffnet die
Tradition der nordgegischen katholischen geistlichen Literatur,
vertreten von Budi, Bardhi und Bogdani.
Ein Jahrhundert später lassen sich drei Richtungen in der Literatur
unterscheiden: 1. katholische 2. orthodoxe und 3. mohammedanische
Literatur.
Im 18.Jahrhundert entwickelten sich auch Zentren (wie z.B in Elbasan,
Voskopoja) einer orthodoxen religiösen Literatur und in zahlreichen
Städten vor allem des heutigen Nord- Mittelalbanien sowie Kosovas,
einer weltlichen islamisch - poetischen Kultur (der sog. Bejtexhinj).
Diese Literatur wurde in einer Vielzahl von albanischen Mundarten
und in ganz unterschiedlichen graphischen Systemen - je nach den
kulturell-religiösen Bindungen der Verfasser auf der Basis
der lateinischen, griechischen oder arabischen Schrift, vom 18.
Jahrhundert an auch in mehreren Originalalphabeten, geschrieben.
In dieser Zeit wurde die soziale Problematik behandelt (Hasan Zyko
Kamberi, Nezim Frakulla ect.).
Im 18. und 19. Jahrhundert führte die Entwicklung der Bourgeoisieelementen
zur Bildung der Rilindja Kombetare - der nationalen Wiedergeburt.
Hierbei handelt es sich um eine romantische Literatur, in deren
Mittelpunkt die Evokuation der alten kämpferischen Zeiten,
die als Vorbildszeiten gelten sollten, nämlich der Skanderbegszeit
steht. Diese Evokuation sollte das albanische Nationalbewußtsein
wecken. Diese Periode dauerte bis 1912, bis zur Proklamation des
albanischen Staates und der damit errungenen Befreiung aus fünfhundertjähriger
Türkenherrschaft.
Mit den Schriften der Rilindasve beginnt der Übergang von der
vornationalen zur nationalen Periode in der Entwicklung der albanischen
Literatursprache. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Periode zählen
die Brüder Frashëri (Abdyl-Politiker, Naimi-Dichter, Sami-Ideologe
und Wissenschaftler), Çajupi (einer der berühmtesten
Kritiker dieser Zeit - Baba tomorri), Pashko Vasa (der
Kritiker - O moj Shqypni) u.a.
Zu ihren wichtigsten Ergebnissen auf dem Weg zu einer einheitlichen
Literatursprache gehören die Bemühungen zur Eröffnung
der ersten albanischen Schule und die Schaffung eines einheitlichen,
des noch heute gültigen Alphabets, das 1908 auf dem Kongreß
von Manastir (heute: Bitola in Mazedonien) beschlossen wurde. Diese
Literaturperiode nimmt einen sehr wichtigen Platz in der albanischen
Literatur ein.
Die nächste Literaturperiode ist die Unabhängigkeitsliteratur
- letërsia e pavarësisë - die von der Erringung der
nationalen Unabhängigkeit (1912) bis zur faschistischen Besatzung
(1939) reicht. In dieser Literaturperiode leisten die Rilindas (Cajupi,
Mjeda u.a) ihren weiteren literarischen Beitrag zum Wohl des Landes.
Die Unabhängigkeitsliteratur gipfelt in die Werken von Fan
S. Noli, der sich als Politiker, Kritiker, Publizist, Historiker
(Die Geschichte von Skanderbeg), Gründer der unabhängigen
albanischen Kirche und Ministerpräsident der ersten albanischen
demokratischen Regierung und berühmter Übersetzer von
Shakespeare, Goethe, Scott, Longfellow, Hugo, Poe, Heine, Omar,
Khajan u.a auszeichnete.
Hervorzuheben ist auch eine weitere Persönlichkeit: Gjergj
Fishta (Lahuta e malësise). Seine wunderschönen
patriotischen Werke wurden später während des kommunistischen
Systems verboten.
Eine besondere Rolle spielt in dieser Periode die Literatur der
dreißiger Jahren (Bulka, Spase, Shuteriqi ect.), die durch
die nationalen Gefühle und eine Zuneigung zur Westliteratur
charakterisiert wurde.
Besonders hat sich Migjeni, der Botschafter der Gegenwart (Vargjet
e lira), als Dichter und Prosaist hervorgetan, der die Armut
und die Ignoranz dieser Zeit besungen hat. Dieser Zeit hat auch
der berühmteste Lyriker Lasgush Poradeci (Vallja e yjeve,
Ylli i zemres) nicht gefehlt.
Die Frauenproblematik wurde vor allem von die von Haki Stermilli
(Sikur të isha djalë) behandelt. Während
des Nationalbefreiungskampfes lag der Schwerpunkt aber auf partisanischen
Liedern.
Nach dem Jahr 1944 orientierte sich Albanien nach Osten. Der sozialistische
Realismus, in dessen Mittelpunkt der positive Held stand, der sich
für die Interessen der anderen opfert, wurde zur herrschenden
Methode.
Die behandelte Thematik richtete sich auf den erfolgreichen Nationalbefreiungskampf
und den Aufbau des wegen des zweiten Weltkrieges zerstörten
Landes.
Die Vertreter dieser Periode zerfallen in drei Gruppen: Schriftsteller,
die über die Unabhängigkeit geschrieben haben, Verfasser
von Texten, die im und aus dem Krieg entstanden (Gjata, Buzheli,
Godo ect.) und Schriftsteller, die erst nach dem Krieg ihre literarische
Tätigkeit wieder aufnahmen (Xoxe, D.Agolli, I. Kadare).
In den Jahren 1944-1990, besonders nach 1974, wurde die Literatur
ein Mittel zum politischen Zweck, ging in einen Schematismus über
und verlor so an literarischem Wert.
Nach der Wende (1990/91) herrschte in der Literatur, genauso wie
im Alltagsleben, ein Stillstand. In dieser Zeit werden nur ausländische
Autoren, manche von denen bis jetzt verboten, ins Albanische übertragen.
Dieser literarische Stillstand dauerte fast drei Jahre an.
Heutzutage werden verschiedene umfangreiche Themen behandelt und
verschiedene Gattungen entwickelt. Eine der berühmtesten aktuellen
albanischen literarischen Persönlichkeiten ist Ismail Kadare,
der sich mit allen literarischen Gattungen erfolgreich befaßt
hat und genauso schön über die Vergangenheit, die albanische
Folklore wie auch über den sozialistischen Alltag geschrieben
hat.
Seine Werke wurden zuerst in Frankreich sehr berühmt (Der
General der toten Armee, Der große Winter,
Die Hochzeit, Die Festung u.a.), wo ihm
viele literarischen Preise verliehen wurden, und später im
ganzen Europa. Vor vier Jahren war er Kandidat für den Nobelpreis.
Seit mehr als sieben Jahren lebt er in Paris.
Sehr populär ist auch Dritëro Agolli, der sich genauso
wie Ismail Kadare erfolgreich mit allen Gattungen befaßt hat,
aber eine besondere Vorliebe für die Beschreibung des bäuerischen
Lebens hat.
Neben diesen Schriftstellern, die vor und nach der Wende literarisch
aktiv waren, tun sich einige bis jetzt ungehörte Namen hervor.
Es geht um junge Schriftsteller, deren Anfänge in Gedichten
liegen und die sich später an Romanen versuchten.
Die von ihnen behandelte Thematik ist umfangreicher als die vor
und kurz nach der Wende. Das wird natürlich durch die neue
geöffnete Welt mit allen ihren positiven und negativen Erscheinungen
bedingt.
Nicht nur neue Inhalte haben sich breit gemacht, auch die Form ist
neu. So z.B bei der Schriftstellerin Mimoza Ahmeti, deren Werke
anfangs von den Lesern als zu abstrakt und zu kafkaresk
wahrgenommen wurden, die heute aber sehr populär unter der
jungen Generation geworden sind. Die Leser brauchten Zeit, um sich
in die neuen Inhalte und Formen hineinzulesen.
Mimoza Ahmeti und andere junge Schriftsteller gewinnen nun auch
über Albaniens Grenzen hinaus, vor allem im Kosovo und Italien
(arbëreshët) an Bedeutung und Leserschaft.
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