Jahresausgabe 1999: Service

Von der Trommel bis zum Handy
Die Kommunikationsmittel Afrikas gestern und heute

von Abdurahman Aden

 

11. Internetisierung - oder "Kein Anschluß unter dieser Nummer"?
Mit dem Vormarsch der neuen "Medien stellt sich die Frage nach ihrer Tragweite für die traditionelle Kultur:
1. Hat die importierte moderne Technologie dazu beigetragen, die afrikanischen Probleme zu lösen, mit anderen Worten, inwieweit sind die neuen Medien gesellschaftskonform?
2. Hat man die modernen Medien den eigenen Bedürfnissen angepaßt, statt sie kritiklos zu übernehmen?
Doch die explosionsartige Entwicklung der Medientechnologie und ihre atemberaubende Grenzüberschreitung lassen keinen Raum für Verzögerung oder vorsichtige Auswahl. Bereits in den 1960er Jahren prophezeite der kanadische Sprachwissenschaftler M. McLuhan, daß sich unsere Welt zu einem globalen Dorf entwickeln werde, in dem die demokratischsten Zustände aller Zeiten herrschen würden. An dieser optimistischen Einschätzung kann gezweifelt werden, wenn man das steile Gefälle zwischen Nord und Süd berücksichtigt. Günter Möller vom Fachverband Informationstechnik stellt fest, daß die Defizite der Entwicklungsländer beim Zugang zu Information und Rechnerleistung größer sind, als sie es bei Rohstoffen und Finanzen je waren; es wird also informationsreiche Staaten und Informationshabenichtse geben. Dennoch ist es ein Faktum, daß die Entwicklung der Medientechnologie positive Auswirkungen auf die bisher unzureichende Anbindung Afrikas an die Welt hat. Der umfassende Wandel der Lebens- und Arbeitswelt verlangt eine zunehmende Bereitschaft zum Aufbruch und zum lebenslangen Lernen. Die Fähigkeit, sich aktuelles Wissen jederzeit aus dem Netz zu beschaffen, wird zur Schlüsselqualifikation. Für die Wirtschaft in einer globalen Informationsgesellschaft wird "Information" gleichzeitig zum wichtigsten Produktionsfaktor und zur begehrten Ware. Neue Dienstleistungen im Informations- und Kommunikationsbereich treten an die Stelle bisheriger wirtschaftlicher Aktivitäten. Künftig wird nur diejenige Volkswirtschaft wettbewerbsfähig sein, nur die Gesellschaft einen hohen Lebensstandard erreichen, deren Produktionselite zu souveränem Umgang mit neuen Informations- und Kommunikationstechniken befähigt ist.

Auch wenn die Uhren in einigen Ländern Afrikas sich zur Zeit politisch rückwärts drehen, wächst das Interesse daran, die technologischen Gegebenheiten auszuschöpfen und Möglichkeiten wie Internet und World Wide Web, e-Mail und online-Konferenz, Datenbanken und Telebanking zu nutzen. 44 der 51 Länder des Kontinents hatten 1998 - wenn auch begrenzten - Zugang zum Internet. Welchen Stellenwert das Thema Internet für Afrika hat, zeigte bereits die von Nelson Mandela organisierte Konferenz "Information Society and Development (ISAD)" im Mai 1996 in Südafrika, an der auch die G-7-Staaten teilnahmen. US-Vizepräsident Al Gore, per Internet-Video zugeschaltet, versprach, das Anliegen zur Chefsache zu machen. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern versuchen ausländische Unternehmer, Fuß zu fassen, um den wachsenden Internet-Markt zu beherrschen. Renommierte Unternehmen wie CompuServe, AOL und Global ONE sind in Afrika als Internet-Anbieter bereits tätig. Auch die Bundesrepublik Deutschland zeigt Interesse, mit Afrika kommunikationstechnologisch zu kooperieren. Unter der Schirmherrschaft des Intendanten der Deutschen Welle wurde die Initiative West African Internet (WAIN) gegründet. Mitbegründer Wolfgang Hennes sieht hier für Deutschland - ein gegenüber anderen Industrieländern informationstechnologisch in Rückstand geratenes Land - die große Chance, unter dem Motto "Kampf der Informationsarmut" entwicklungspolitisches Neuland zu betreten und selbst von dieser internationalen Zusammenarbeit zu profitieren.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Projekt Africa ONE: Man will ein 35000 km langes Glasfaserkabel rund um den afrikanischen Kontinent legen, mit Abzweigungen zu den Küstenländern und von dort zu den dahinterliegenden Binnenländern. Dieses Kabel soll mit dem bestehenden Satellitensystem RASCOM und dem Landverbindungssystem PANAFTEL verknüpft werden. Da die afrikanischen Länder mit solchen Projekten finanziell überfordert sind, will vor allem die Weltbank in Zusammenarbeit mit UN-Organisationen (UNESCO, UNCTAD, UNDP, USAID) sowie die Europäische Kommission den Ausbau der Telekommunikation in Afrika technisch und finanziell unterstützen. Der Übergang zur Informationsgesellschaft wird herkömmliche Bindungen auf noch ungeahnte Weise verändern. Entscheidend ist dabei, neue Arbeitsmöglichkeiten rasch zu erkennen und gleichzeitig Gefahren für bestehende Wirtschaftszweige rechtzeitig zu begegnen, so daß negative Folgen für den einzelnen und die Infrastruktur abgemildert werden.

Die Empfehlung, Afrika zu internetisieren und rechtzeitig an die globale Vernetzung anzuschließen, wird mit vielfältigen Vorteilen begründet, die hier nur kurz aufgeführt werden.
Mit Hilfe des Computers kann man besser, zuverlässiger und ressourcenschonender planen; politische Prozesse werden optimiert und Entscheidungen gerechter, weil sie auf solider Datenbasis getroffen wurden. Wenn der Bürger Zugriff auf weit mehr Informationen habe, werde sich, so hofft man, das Verhältnis zwischen Bürger und Staat grundlegend wandeln. Der in vielen Ländern bevorstehende Demokratisierungsprozeß verlangt, daß Voraussetzungen für eine allgemeine Beteiligung an den Netzen geschaffen werden. Eine "informationelle Grundversorgung" muß zur Verfügung stehen, dann kann man in kleinen Schritten erproben, welche Weiterentwicklungen sinnvoll erscheinen. Moderne Kommunikationstechnik macht es möglich, daß der Bürger an einer einzigen Anlaufstelle, etwa im Bürgerbüro einer Gemeinde, die Angelegenheiten erledigt, für die vorher mehrere Ämter zuständig waren. Staat und Gemeinden können den internen Informationsfluß verbessern, Kosten senken und kundenfreundlicher arbeiten.

In der Wirtschaft erleichtert das Internet den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen. Die Suche nach Kunden und Lieferanten, die Angebotserstellung und die Geschäftsabwicklung laufen um ein Vielfaches schneller ab als auf konventionellem Wege. Viele mögliche Geschäfte kommen heute nur deshalb nicht zustande, weil die Geschäftsanbahnung noch zu lang dauert. Die Direktvermarktung über das Datennetz kann zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums beitragen. Das Datennetz bietet die Möglichkeit, Zugang zu den über 6000 Online-Datenbanken zu bekommen, in denen das aktuelle Wissen der Welt gespeichert ist. Ausbildung und Weiterbildung können als Fernlehrgänge über Internet kostengünstig absolviert werden. Und nicht zuletzt erleichtert das Netz die Soforthilfe in Katastrophenfällen.

Und noch einen entscheidenden Faktor führen die Enthusiasten an: Netzkommunikation ahmt in mancher Hinsicht die vertrauten Formen des direkten Kontakts nach. Sie ist viel unmittelbarer als der Schriftverkehr europäischer Tradition und könnte somit den sozialen Bedürfnissen und politischen Gegebenheiten gerade in Afrika entgegenkommen.

Mit dem Vordringen entsprechender Technik wird der geübte Umgang mit den neuen Medien zu einer elementaren Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Neue Formen des Selbstlernens und des Fernlernens am Computer werden an Bedeutung gewinnen und herkömmlichen Unterrichtsformen Konkurrenz machen. Afrika wird heute oft nahegelegt, die Chancen zu ergreifen, die sich aus den neuen Medien und der Neugestaltung der traditionellen Medienverbundsysteme ergeben. Als positives Beispiel wird oft angeführt, wie die Informations- und Kommunikationstechnik es besonders den ostasiatischen Schwellenländern erleichtert hat, ganze industriegeschichtliche Phasen zu überspringen (Leapfrogging).

Die hier skizzierte optimistische Einschätzung der Auffahrt der Afrikaner auf die internationale Datenautobahn stößt allerdings auf erhebliche Bedenken und Kritik, die den Verführungscharakter moderner Medien betont: Realitätsverlust und Verarmung an unmittelbarer Erfahrung, Informationsüberflutung bei zunehmender eigener Passivität, Zeitverschwendung und Flucht ins Spiel bis hin zur Verherrlichung von Krieg und Gewalt, so kann man die Gefahren umschreiben. Die bekannte Vorherrschaft der US-amerikanischen Kultur durch Film, Fernsehen und Video könnte in der globalen Informationsgesellschaft noch stärker werden.

Aber auch ganz praktische Argumente stehen der Datenautobahn in Afrika entgegen: Zur Nutzung der Internetzugänge werden Computer benötigt, deren geringe Dichte ein erhebliches Hindernis darstellt. Da das jährliche Pro-Kopf-Einkommen nicht viel mehr als 100 US-Dollar beträgt, ist an eine flächendeckende Verbreitung der neuen Medien nicht zu denken. Demzufolge ist der Markt auch nicht lukrativ genug für ausländische Investoren. So wird die gegenwärtige Innovationswelle im Bereich der Medien an Afrika vorbeigehen.

Würde die Auffahrt auf die Datenautobahn wirklich die Entwicklung fördern oder nur zur weiteren Verschwendung der ohnehin knappen finanziellen Ressourcen verführen? Wird sich die afrikanische Elite vor flimmernde Bildschirme setzen, die auf Kosten von dringlicheren Gütern angeschafft wurden? Wird der Gegensatz zwischen Stadt und Land dadurch nur verstärkt statt überbrückt? Viele Dörfer haben noch nicht einmal Stromanschluß. Was soll ein afrikanischer Kleinbauer, der kein Englisch kann, mit dem Internet? Er könnte einen Computer in seiner Hütte haben, gespeist aus der Solaranlage auf dem Dach - ein Spielzeug. Aber wäre die technisch bescheidenere Stufe - beispielsweise das Radio in der Landessprache und mit lokalen Nachrichten - nicht geeigneter, um Informationen von praktischem Nutzen zu verbreiten und zur Bürgerbeteiligung zu ermutigen?