Jahresausgabe 1998
Augenklang und Ohrenblick - Erlebnisse auf der Intensivstation
von Eckart Hafemann
"Sie haben mir ein Vomex-Zäpfchen gegeben", lalle
ich, so gut ich kann. Ich liege auf meiner Trage und sehe eine Schwester
über mich gebeugt. Offensichtlich kann mein Gegenüber
mich nicht verstehen oder sie misst dem Ganzen keine Bedeutung bei.
Ich wiederhole mit aller Kraft, was ich gesagt habe. Erst die Antwort
der Krankenschwester macht mich wieder ruhiger.
"Sie haben Ihnen ein Vomex-Zäpfchen gegeben." Sie
hat mich verstanden, also nicke ich. Kommunikation als Einbahnstraße
ist beängstigend. Ich brauche eine Antwort. Anders weiß
ich nicht, ob ich verstanden wurde. Meine Sprache ist undeutlich.
Jede Artikulation mühsam.
Ich bin hilflos. Ihnen voll und ganz ausgeliefert. Zum Glück
ist das im Moment für mich kein Problem. Ich füge mich
in meine Hilflosigkeit, lasse sie gewähren. Nur Ungeduld macht
sich in mir langsam breit.
Immer wieder fragt die Schwester mich belangloses Zeug. Offensichtlich
will sie überprüfen, ob ich noch ansprechbar bin, ob mein
Gehör, mein Gehirn noch funktioniert. Es ist oft immer dasselbe,
das sie von mir wissen will.
"So vergesslich kann sie doch gar nicht sein", denke ich
bei mir. Gleichzeitig hat ihre Anwesenheit etwas Beruhigendes, signalisiert
sie doch, dass man sich um mich kümmert, dass etwas geschieht,
dass man mich nicht meinem Schicksal überlässt.
Ich schaue mich um. Die Sanitäter schieben mich durch irgendeinen
Flur. Neubau, aber ziemlich eng. An unserem Ziel angekommen warten
wir darauf, dass wir mit den Untersuchungen fortfahren können.
Die Geräte sind zwar da, aber im Moment blockiert. Die bevorstehende
Untersuchung entscheidet über das weitere Vorgehen. Wir stehen
auf dem Gang und versperren den Weg. Obwohl ich mit meiner Trage
abseits beim Aufzug stehe, kommt hier kein Bett durch. Die Passanten
- meistens Ärzte - müssen sich vorbeischlängeln.
"Wir werden jetzt gucken, ob Sie eine Hirnblutung haben",
sagt die Dame, die hier für die Einteilung der Geräte
zuständig ist. "Dazu brauchen wir das CT. Es wird lange
dauern und langweilig sein, aber wir können sehr viel darauf
erkennen." Eine Hirnblutung. Für mich nur eine technische
Möglichkeit. Nie habe ich mich damit auseinandergesetzt. Jetzt
weiß ich nicht, was es bedeutet.
"Tut was ihr könnt, aber tut es rasch", denke ich
voller Ungeduld. Obwohl so Begriffe wie 'Hirnblutung' fallen, fühle
ich mich nicht ernstlich bedroht. Ich bin zuversichtlich, dass sie
das Beste aus der Situation machen werden.
Ich bin zu jung, um mir Abschiedsgedanken zu machen. "Sie werden
diagnostizieren und therapieren. Dabei müssen sie natürlich
alle Eventualitäten ins Auge fassen." Mir ist es fern,
so unglaublich. Es erscheint mir wie die Einverständniserklärung
vor einer Narkose, man unterschreibt in dem Bewusstsein, dass es
einen schon selbst nicht trifft und nur der Absicherung der Ärzte
dient. Hirnblutung - eine theoretische Möglichkeit, die sie
wohl abklären müssen.
Die Schwester schiebt mich in den Nebenraum. Hier werde ich auf
ein Röntgenbrett gehoben. Anschließend fahre ich samt
Gestell in eine Art Kugel. Gerade mein Kopf passt herein. Ich habe
keine Angst. Ich fühle mich im Medizinbetrieb wohl und sicher.
Nur das alles so entsetzlich lang dauert.
"Schnell muss es gehen", denke ich, denn das habe ich
begriffen. Oft fehlt einfach die Zeit, die Verwundungen sind nicht
so schlimm. Das ist banal, aber oft tödlich. Wie oft heißt
es: "Er kam leider zu spät. Seine Verletzungen wurden
zu spät richtig erkannt." Zu spät. Mir jedoch bleibt
die Hoffnung, dass ich rechtzeitig in ihre helfenden Hände
gekommen bin. Ja, ich bin sogar fest davon überzeugt.
"Am Ende wird alles gut gehen. Irgendetwas wird bleiben, na
ja. Aber sie können heute so viel, wenn man nur rechtzeitig
behandelt wird."
'Srrr-ping!' macht es das eine und das andere Mal. Es vergeht eine
Ewigkeit. Immer wieder eine Pause und dann 'Srrr-ping!'. Beim 'Srrr-ping!'
wird eine Aufnahme gemacht. Wie oft es so machen muss, weiß
ich nicht. Wie lange die Prozedur dauern wird, ist mir ebenfalls
nicht bekannt. Die Schwester hat mir zwar gesagt, dass es ziemlich
lang dauern kann und sehr langweilig ist. Aber was heißt das
hier? 'Srrr-ping!' Ruhe. Lähmende Stille. "Was ist lang?"
Ich fange an, in den Pausen zu zählen. 34, 35, 36 'Srrr-ping!'.
Diese Pause war noch verhältnismäßig kurz. Viele
Pausen dauern mehrere Minuten. Ich zähle. Etwas anderes fällt
mir nicht ein. Ich warte ja nur auf die Ergebnisse der Untersuchung,
ob sie was sehen können. 'Srrr-ping!' ist erlösend, weil
es aus der Monotonie des Wartens und Zählens herausreißt.
Ich liege ganz still. Keine Bewegung durchzuckt meinen Körper.
Den Kopf könnte ich eh nicht bewegen, denn er ist zwischen
Schaumstoffkeilen eingeklemmt. Die eine Körperhälfte ebenso
nicht. Sie ist gelähmt. Schlapp liegt sie in den Kissen. Wieder
zähle ich. 167, 168, 169,170. Endlich ist es soweit. Die Klappe
geht auf und der Tisch wird automatisch herausgefahren. Vom Tisch
werde ich im Laken von einigen Pflegern auf die Trage gehoben. Jetzt
muss ich nur noch auf die Auswertung der Bilder warten. Auf der
Trage liegend warte ich geduldig und döse.
Aus meinem Mittagsschlaf ist nichts geworden. Ich bin so müde.
Die Aufregung, die Hektik, die ab und an um mich ist, überträgt
sich nicht auf mich. So ruhig oder so müde bin ich.
"Wir können auf den Bildern nichts sehen, das heißt,
wir müssen eine Angiographie machen, um direkt nachzusehen.
Die Angiographie wird gleich nebenan gemacht. Bitte warten Sie."
Mein Zustand ist unverändert. Ich bin halbseitig gelähmt.
Mein Arm ist schlapp, ebenso mein Bein. Meine Sprache ist verwaschen
und undeutlich. Ich fühle mich wie beim Zahnarzt. Meine eine
Gesichtshälfte ist wie narkotisiert, aber ich höre mein
Gegenüber. Also kann ich noch reagieren. Wenigstens ansprechbar
bin ich noch.
"Hauptsache hier irgendwie rauskommen", denke ich. Der
Rollstuhl scheint mir eine akzeptable Lösung. Solange das Gesicht
nicht betroffen ist, scheint alles erträglich zu sein. Was
ich genau habe, weiß ich nicht. Ich ahne es nicht einmal und
ich frage auch nicht danach. Es würde mich sowieso keiner verstehen
und die Wahrheit kennt im Moment sowieso keiner.
Ich kenne weder die Diagnose noch meine Zukunftsaussichten. Es ist
zwar bitter, wenn man sich nicht mehr bewegen kann, aber das Gehirn
seine Funktion noch erfüllt, doch wie alles einmal werden wird,
kann ich augenblicklich nicht durchdenken. Gefangen von der Situation
speise ich es mit Banalitäten ab und lege es so lahm.
"Jetzt erst mal das Ende abwarten." Ich beruhige es, mich.
Einerseits bin ich glasklar. Die Situation ist mir bewusst und ich
kann auf alle Fragen antworten. Also bin ich hellwach. Andererseits
weiß ich nicht, was mit mir ist und denke nur an das mögliche
Ende, das ich mir weitgehend normal vorstelle, nur mit Rollstuhl
vielleicht. Gelähmt, aber mit klarem Kopf.
Auszug aus einem unveröffentlichten Manuskript.
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