Jahresausgabe 1998
Licht
von Markus Hofmann
"Siehst du das Licht?", fragt sie mich,
als ich aus meinen Träumen erwache und noch immer die Feuchtigkeit
hinter den Falten meiner Ohren spüre. Unverwandt sehe ich sie
wohl an, denn sie wiederholt ihre Frage: "Siehst du das Licht,
Manso?" Ich schüttle den Staub aus meinen Haaren und die
Antwort in ihren Schoß: "Ich habe mir das anders vorgestellt."
- "Kannst du es sehen?" Ich blinzle in die Dunkelheit.
Ich weiß es nicht. "Ich habe Wolken gespürt. Und
Schwere, eine dichte Wärme, und ich dachte... dachte, dies
könnte der Weg sein... zum... Licht." Ich versuche, meine
Glieder zu rühren, doch alles, das sich rührt, ist das
Bett auf dem ich liege, und ich versuche, noch einmal alle Kräfte
zu sammeln: "Wo bist du?" Ich vernehme ihre Stimme mit
dem Druck der Jahrhunderte, die zwischen uns liegen mögen:
"Ich bin hier, hier bei dir." Ich spüre die Lüge
als ein kaltes Glimmen, das meinen Rücken hinauffährt,
und meine Haut sich sträuben läßt. "Ich kann
dich nicht spüren", entgegne ich. Sie schweigt. Ich weiß,
es gab die Zeit, ich weiß, es gab auch Worte, aber jetzt...
"Mir träumte von einem Sumpf, nein, eine Lichtung; ich
hatte sie gesprochen. Gehörnte Wesen spielten zum Tanz auf,
wirbelten im Halbdunkel und vollführten einen wilden Reigen:
Bis sie uns erblickten. Warum waren wir dort? Plötzliche Stille
ließ jedes Geräusch sich fürchten, und alles, was
wir, was sie, was zu hören war, waren die harten Stöße
unseres Atems, die Dunstwolken in die Zeit versprühten. Gierig
ruhten ihre Blicke auf uns, und ich ergriff deine Hand. Wir rannten,
rannten uns die Seele aus dem Leib, in den Sumpf. Immer langsamer
wurde unser Schritt, immer tiefer gingen wir, du hieltest meine
Hand, ich solle doch etwas sagen, verlangtest du, doch ich, meine
Stimme, ich konnte nicht. Ein Wort zuviel. Was ist besser, begann
ich zu überlegen, das Wort zuviel oder das Wort zuwenig?"
Ich schweige. Fühle ich sie in meiner Nähe? "Womöglich
habe ich dein Wort gebraucht damals. Womöglich hättest
du das Wort zuviel versuchen sollen. Du hast mich so mit Worten
überschüttet, hast meine Wunden übervoll gefüllt,
so daß dieses eine nicht viel gewogen hätte... verstehst
du." Ich verstehe nicht, will nicht, will schweigen, verwünsche
meine Zunge, fühle den Schmerz, mein Kopf schwindelt: "Ich
dachte, es beginnt alles damit, beginnt mit dem Wort, so sagt man
doch? Und ich glaubte, wir können alles erbauen, alles würde
gut, wenn nur, wenn nur die Worte gut sind. Aber es ist anders,
aber was sage ich, wer bin ich, ist es mir doch ohnehin nicht gelungen,
fehlt doch der Zauber und fehlt der Anfang zum Ende." Wenn
sie schweigt, weiß ich, daß ich gerecht spreche. "Das
Elementarste fehlt: Wenn nichts zu sagen ist, sage nichts, und ich
war immer das Geschöpf der größten, nein der fettesten
Sprache, und blähte mich über den Rand meines Horizontes,
dehnte mich, dehnte meine Welt, schielte über den Teller meiner
Zeit. Mein Wesen war das der Luft. Es ist nie etwas zu sagen. Aber
ich sagte doch nur wegen dir, für dich. Und doch gegen dich."
"Sei gnädig", rief sie damals, "vielleicht rechtfertigt
das Ziel das Wesen. Vielleicht... ist doch jetzt ein Ende."
"Aber das Wesen lebt fort.", wende ich nun ein.
Hier stehe ich. Als mein Ziel sah ich das Füllen von Verschneitem.
Es sah nicht auf das Tieferliegende. Ich nahm stets das Oberste
zur Tiefe, verdeckte es unter dem Offensichtlichsten, verrührte
es zur Unkenntnis. Ich achtete nicht auf die Schmerzen, erst als
ich sah, daß mir meine Feder stumpf würde, zerbrach ich
sie und spürte mit meinem Innersten. Und als ich meine Wege
noch einmal ging, auf dem umgekehrten Wege, als ich an die Wände
klopfte, spürte ich die Verlassenheit hinter ihnen. Ich nahm
die Wörter von ihren Befestigungen, drehte sie um und erblickte,
daß sie noch immer die Löcher der Haken aufwiesen, mit
denen ich sie aus dem Moorland gezogen und aneinandergereiht hatte.
Sie bluteten nicht einmal. Ich schlug sie auf den Boden. Ein dumpfes
Geräusch erschütterte mich, nein, nicht einmal mehr. Tot
bleibt tot. Weiter ging ich, und die Wände wurden für
meine Blicke durchlässiger, und als ich spät am Tag morgens
die Quellen meiner erreichte, konnte ich andere sehen, die noch
meine Wege säumten, bevor die Tunnel der Worte begannen. Ich
wagte nicht, sie zu fragen, ich erblickte sie nicht mehr als meine
Freunde.
"Schlösser wollte ich bauen, ich wollte dich umfassen,
deine Welt in mich aufnehmen, wollte Sicherheit. Sicher. Ich weiß,
du bist schon lange nicht mehr da, ich weiß, ich bin... bin
hier." Ich überlege eine Weile, lausche in die heimliche
Dunkelheit, beginne zu schreien: "Nein, ich kann es nicht sehen,
das Licht. Ich habe keine Augen. Und auch das Wasser kann ich nicht
mehr spüren. Ich weiß nicht mehr, woher es führt.
Ich führte." Mein Mund ist verschlossen.
Würde jemals eines von uns enden?
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