Jahresausgabe 1999:
Deszendenz
von Markus Hofmann
Es war der Tag, an dem ich erwachte, aufstieg aus einem Meer warmer
Gedanken und der Tiefe, die mich so lange vor dem kühlen Licht
des Morgens verborgen hatte. Die Sonne stieg gerade auf, erwärmte
diesen Ort der schwülen Hitze, Fächergewächse beschirmten
mich ein wenig an diesem Ort, wo ich nicht erwartet worden war.
Meine Ankunft schien jedoch ein lang Ersehntes, wie ich noch heute
aus menschlichem Übermut glaube, war doch alles schon bereitet,
lag doch alles bereit, in meinen Händen geformt, gearbeitet,
gerichtet zu werden. Alles um mich feierte meine Erweckung, reichte
sich die Trophäen, die einst ich erlangen sollte, so war es
zumindest beabsichtigt, oder schien es zu sein. Auch jetzt schon
gab es ein Zurück, ich starrte aufs Meer, lächelte, richtete
mich auf und lief meine ersten Schritte auf neuem Boden. Steine
nahm ich zur Hand, ihr Gewicht zu prüfen, gab einen Teil von
ihnen dem Meer zurück, aus dem ich gekommen war, seinen Lohn,
behielt die anderen zu meinem Nutzen zurück. Ich drehte mich
und wendete mich, ich lief und vollbrachte, was mir in die Augen
sprang: Ich war es, den die Welt geboren nach langen Versuchen.
War ich es?
Bald lernte ich ihn kennen: Nachts, wenn ich zu meinen Zügen
aufbrach, wenn ich nach Hause kam, war er stets da, wenn auch in
unterschiedlicher Verfassung, aber immer ganz, immer wahrhaftig.
Er schenkte mir das erste Lachen, dasjenige, das in meiner Seele
haften blieb, das Lachen, das bis heute ich nie mehr vergessen habe.
Wenn er am nächsten schien, und es oft auch war - vielleicht,
brachte ich Blumen, brachte Ringe; und doch wollte er nichts haben,
mir nicht mehr geben als das Erste, das mich so warm gestimmt, doch
auch das Verlangen nach dem Mehr geschenkt hatte. Ich wartete, ich
wütete, ich raufte mein Haar, doch immer war da dieses Lächeln,
nicht mehr, nichts Geringeres.
Aus Holz, Steinen und Fasern fertigte ich ein Instrument, das mich
näher zu ihm bringen sollte. Ich schmückte es nach allen
Regeln, ich sprach: "Hier, für Dich!", ich trug mein
bezauberndstes Lächeln. Nichts geschah. "So willst Du
es jetzt nicht haben? Doch ich weiß genau, dann, wenn es zu
spät ist, dann kommst Du zu mir. Du wirst schon noch kommen,
ich weiß es genau! Ich weiß es, so wahr ich hier stehe!"
Trotzig stampfte ich auf den Boden, versteckte mein Werk in der
Höhle, die sich am Fuß des Berges dunkel der Lichtflut
des Tages verweigert. Ich wartete, ich färbte mein Antlitz
schwarz des Abends, trat nach draußen und sprach: "Ich
bin krank, siehst Du mich? Ich bin krank, nichts kann mich heilen."
Ich ließ mich auf den Boden fallen, ich rührte mich nicht.
Erst nach Sonnenaufgang hob ich meinen Kopf, um zu schauen. Nichts
war geschehen, keine Tritte, keine Spuren, die in die Höhle
führten.
Viele Tage vollführte ich mein Schauspiel, wütender geschminkt,
mit wilderer Krankheit, mit mehr Geschenken warf ich um mich. ich
merkte kaum, dass innen, in der Höhle, dass unten, unter dem
Meer, fast nichts mehr so war wie einst. Und selbst die Augen, selbst
das Lächeln, das mich früher in seinen Bann gezogen hatte,
war seltsam bleich geworden, war seltsam wie er selbst geschwunden.
ich hasste.
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