Jahresausgabe 1998

Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß, Finanzier, Freidenker, Justizopfer

von Rolf Haaser

 

Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß, Finanzier, Freidenker, Justizopfer

Dies ist der Titel eines im Frühjahr 1998 bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg erschienenen Bandes, der unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verdient. Hellmut G. Haasis, der erstmals unter Auswertung des umfangreichen Aktenmaterials die Lebensgeschichte Jud Süß Oppenheimers erzählt, ist bereits 1988 durch seine materialreiche und spannend beschriebene Geschichte der Französischen Revolution mit dem Titel "Gebt der Freiheit Flügel" einem breiteren Publikum bekannt geworden.

Das neue Buch von Haasis anzuzeigen, ist dem Gießener LiteraturBüro nicht zuletzt deshalb angelegen, weil darin eine Episode aus der Biographie des Jud Süß berichtet wird, die sich in Gießen zugetragen hat. Wir haben die Passage schon vor etwa einem Jahr im Kulturradio des Hessischen Rundfunks gehört und sind nun froh, daß sie auch in gedruckter Form vorliegt.

Erzählt wird (S. 264 -267), wie im Jahr 1734 Süß einmal nach Gießen kam und im Gasthof "Zum Weißen Roß" - heute Kreuzplatz 3 - abstieg. Während er einen Besuch bei einem Bekannten in Gießen machte, versuchte der Wirt, ihm einen Streich zu spielen. Er schickte eine Botschaft in die benachbarte Judenherberge und ließ den sogenannten Bletegästen, den Betteljuden für den Sabbat, sagen, daß sie sich alle in seinem Haus einfinden sollten, da ein reicher Jude in der Stadt sei, der sie beschenken wolle. Es war Freitag Nachmittag und die Herberge war voll armer Juden, die den Schabbes in Gießen zu feiern gedachten. Als Süß von seinem Besuch zurückkam und die Menge armer Glaubensbrüder und -schwestern vorfand, gab er sich keine Blöße und reichte anstandslos die "versprochenen" Almosen dar. - Soweit im Stenogrammstil und etwas verkürzend dargestellt die Gießener Episode Süß Oppenheimers.

Wer war dieser Mann? Wir zitieren aus dem Kladdentext:
Joseph Süß Oppenheimer, erst mit dem Tag seiner Verhaftung im Jahr 1737 in herabsetzender Absicht zum "Jud Süß" gemacht, zählt zu den bekanntesten Gestalten in der Geschichte der deutschen Juden. Das Bild seines Lebens ist allerdings eingetrübt durch diffamierende Legenden, die schon zu seinen Lebzeiten und erst recht nach seinem schmählichen Tod am Galgen kursierten, und verzerrt durch Veit Harlans Hetzfilm "Jud Süß" von 1940. Dabei hat sich noch niemand der Mühe unterzogen, die umfangreichen Akten des Prozesses gegen Joseph Süß auszuwerten.
Gestützt vor allem auf diese Quelle, erzählt Hellmut G. Haasis die Lebensgeschichte des Joseph Süß, nicht die Geschichte seines Nachlebens als Jud Süß. Der Aufstieg des 1698 geborenen Jud Süß zum Bankier und württembergischen Geheimen Finanzrat spiegelt sehr genau die Bedingungen, in denen Juden zur Zeit des kleinstaatlichen Absolutismus überhaupt zu Ansehen und Vermögen gelangen konnten.
Umfassende Geschäftsbeziehungen und finanztechnisches Geschick verbinden sich bei Joseph Süß in erstaunlicher Weise; er gilt als solider und ideenreicher Finanzier einer adligen Klientel. Sein Schritt, sich Carl Alexander, dem designierten Herzog von Württemberg, anzunähern, entspringt geschäftlicher Logik.
Was jedoch als Chance für Erfolg und persönlichen Aufstieg erscheint, trägt schon den Keim des Unheils: Der katholische Carl Alexander tritt die Herrschaft in einem bigott protestantischen und zudem hochverschuldeten Land an, in dem die Landstände dem regierenden Herzog immer wieder finanziell in die Parade fahren. Als der Herzog überraschend im Jahr 1737 stirbt, geht die geballte Wut der württembergischen Patrizier auf Joseph Süß nieder. Er soll für den Herzog büßen; er, der die Entwicklung zum modernen Finanzwesen vorantrieb, soll entlarvt und verurteilt werden. Der Prozeß gegen ihn, schnell angezettelt, schlecht vorbereitet und immer am Rande des offenen Justizskandals geführt, zeigt die Mentalitäten und Mächte, denen Joseph Süß zum Opfer fiel.

Soweit der Kladdentext zu Haasis Jud Süß. Wer Gelegenheit hat, kann sich ein etwas älteres Bändchen aus Wagenbachs Taschenbücherei ergänzend dazu heranziehen. Es heiß "Asperg. Ein deutsches Gefängnis" und ist von Horst Brandstätter zusammengestellt worden (Berlin 1978). Auf Seite 23 bis 29 finden sich einige lesenswerte Materialien zur Gefängnishaft des Jud Süß vor seiner Hinrichtung zusammengestellt und kommentiert.

Lion Feuchtwangers Roman "Jud Süß" aus dem Jahr 1925 wird von Klaus Harpprecht neu besprochen in "Romane von gestern heute gelesen. 1918-1933." Hrsg.v. Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt am Main 1996, S. 65-73.